Eine Schnecke namens Macho - Luskas Bücher

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Eine Schnecke namens Macho

Buch 8
Er fand sich unwiderstehlich. So wahnsinnig schön, gescheit und muskulös war keiner seiner Familie. Wenn immer es ging, betrachtete er sich ausgiebig im Spiegel oder im Spiegelbild im Teich. Dann richtete er sich auf, stellte seinen Kopf und drehte seinen so unwiderstehlichen Körper in alle Richtungen. Und was er da im Spiegelbild sah, machte ihn stolz und glücklich. Er wusste es, er war der schönste seiner Art.

Meistens lag er aber im Garten auf dem Liegestuhl und schaute auf seine Artgenossen herunter. Wie der König auf dem Thron verfolgte er das Geschehen von oben, die Arbeit seiner Bediensteten. Und dabei entging ihm nichts. Wenn etwas nicht genau so ausgeführt wurde, wie er es angeordnet hatte, verwies
er seine Angestellten in die Schranken. Diese waren total eingeschüchtert und hatten grosse Angst vor ihm. Manchmal konnte er wirklich sehr böse werden. Schon oft hatte er sie beschimpft und ihnen Strafe angedroht. Wer gar nicht gehorchte, wurde entfernt. Schon viele von ihnen waren einfach eines Tages verschwunden. Niemand wusste, was mit ihnen passiert war.

Auch wenn sie nichts erwiderten auf seine ungehobelten Worte, waren sie sich alle einig. Er war nicht das, wofür er sich hielt. Er war ein fauler Typ und eine ganz gewöhnliche Schnecke wie sie alle, nicht schöner und nicht besser. Aber er war ein absoluter Macho. Sie waren einfach bescheidener als er und realistischer. Er sah sich als König und behandelte sie wie seine Sklaven.

Es war widerlich, wie er sich auf dem Liegestuhl breit machte, die Sonnenbrille auf der Nase und den Hut schräg über die Fühler gezogen. In der einen Hand hielt er einen Cocktail, in der anderen den grossen Schirm, der ihm Schatten bot. Seine Untertanen mussten ihn den ganzen Tag bedienen und ihm die saftigsten Blätter bringen. Seine Lieblingsbeschäftigung war Fressen. Er knabberte von morgens bis abends am Grünzeug herum. Sie durften ihm nur zuschauen. Dabei hätten sie auch gerne eines der saftigen Blätter ergattert. Aber nein, für ihn gab es nur das Beste. Sie konnten ja die Abfälle fressen.
Sie hassten ihn und wünschten sich insgeheim, dass er eines Tages für seine Arroganz bestraft würde. Doch ihn kümmerte es nicht, dass sie ihn nicht mochten. "Das ist nur der pure Neid", sagte er zu sich selber. "Die wären froh, wenn sie so schön und begehrt wären wie ich." Dann zog er das unterste Blatt aus dem Stapel hervor und biss hinein. Sie hörten ihn schmatzen, und das Wasser lief ihnen im Mund zusammen.

Durch seine Faulheit wurde er jeden Tag etwas dicker. Schon jetzt hatte er manchmal Mühe, sich in sein Schneckenhaus zurückzuziehen. Es war da drin sehr eng geworden. An einem heissen Sommertag war es dann so weit. Der Rückzug ins Haus war unmöglich geworden. Er konnte sich drehen und wenden wie er wollte – sein Bauch war zu dick. Er passte nicht mehr in sein Heim, das ihm Schatten bot. Er konnte seinen Körper nicht mehr eng zusammenziehen, um ins Schneckenhaus zu gelangen. Seine Weichteile waren nun total ungeschützt und der prallen Sonne ausgesetzt. Wenn es draussen so heiss war wie jetzt, war das gefährlich. Schnecken sind nicht hitzebeständig. Wenn sie zu lange in der prallen Sonne liegen, wird ihre Haut hart und trocken. Erst bekommen sie einen Sonnenbrand, dann folgt die Austrocknung. Ohne Schutz bedeutet das ihr Ende.

Gegen Abend, als die Sonne langsam hinter dem Horizont verschwand, spürte er jede Hautfalte an seinem Körper. Alles war rot und brannte. Er hatte trotz Sonnenschirm einen starken Sonnenbrand erwischt. Jede Bewegung schmerzte und er spürte einen stechenden Schmerz. So lag er noch immer unbewegt auf der Sonnenliege und suchte mit seinen Augen die Umgebung ab. Irgendwo müsste es doch einen angenehmeren, schattigen Platz für ihn geben?

Vor ihm lag der grosse Ententeich mit den dicken quakenden Fröschen, den Seerosen und den farbenfrohen Enten. Und dahinter, auf der anderen Uferseite, erstreckte sich eine kleine Wiese mit hohen Bäumen, die viel Schatten boten. Er richtete sich auf, um alles genau zu inspizieren. Dorthin wollte er, das wusste er nun, und zwar schon am nächsten Tag. Er würde sich in den Schatten legen und das Leben geniessen. Der Weg dorthin war allerdings recht weit. Mit seinem dicken Bauch konnte er gar nicht mehr so schnell kriechen, um das Ziel innert nützlicher Frist zu erreichen. Der Weg um den Teich herum war viel zu lange und zu beschwerlich. Er musste einen schnelleren Weg finden. Noch den ganzen Abend studierte er daran herum, wie er ohne grosse Anstrengung auf die andere Seeseite gelangen konnte. Sich gross anstrengen wollte er nicht, das würde seinem ach so prachtvollen Körper nur schaden. Er musste sich etwas einfallen lassen, um sein Ziel zu erreichen. Am Morgen, als er aus dem Bett kroch, hatte er die rettende Idee. Die Ente musste ihm helfen.

Er kletterte den Balkon hinunter und kroch zum Ententeich. "Hallo du Ente da, hör mir gut zu! Ich will, dass du mich sofort auf die andere Seite des Teiches bringst – aber etwas schnell, wenn ich bitten darf." Die Ente schaute ihn nur etwas befremdet an. Was wollte dieser Zwerg eigentlich von ihr? Der müsste ja eigentlich wissen, dass sie sich nicht einschüchtern liess und schon gar nicht von diesem schleimigen Typen mit den knallroten Sonnenbrand-Flecken. "Hey, Macho, das kannst gleich vergessen. Geh zu Fuss. Ich will deine schleimigen Füsse nicht auf meinem wunderschönen Gefieder. Mach also dass du verschwindest!" Für einen Moment blieb er wie angewurzelt stehen. So hatte bisher noch niemand mit ihm gesprochen. So ein unverschämtes Federvieh! So kam er also nicht zum Ziel.

Er überlegte kurz, was er tun konnte. Dann änderte er seine Strategie. Er setzte sein schönstes Lächeln auf, blinzelte der Ente zu und sagte freundlich: "Hallo liebe Ente, mir geht es so schlecht. Mein ganzer Körper brennt. Wenn ich nicht rechtzeitig auf die andere Uferseite komme, werde ich sterben. Und das möchtest du doch bestimmt nicht? Du musst mir unbedingt helfen, du zauberhaftes Geschöpf." Dabei krümmte er seinen geschundenen Körper nach allen Seiten und stiess heulende Laute aus, um den Worten auch richtig Nachdruck zu vermitteln.

Obwohl die Ente ihn kannte und wusste, dass er eigentlich ein ungehobelter Kerl war, bekam sie Mitleid. Sie konnte nicht länger ertragen, dass er Schmerzen hatte ohne ihm Hilfe anzubieten. Zwar wollte sie ihn noch nicht aufsitzen lassen, dafür war er zu schleimig und dick, doch etwas Wasser konnte sie ihm ja bringen. Sie eilte zum Teich, nahm Wasser in den Schnabel, flog zu ihm zurück und liess den Wasserstrahl wie eine Dusche über ihn hinab gleiten. Er spürte die Erleichterung, genoss das kühle Nass. Trotzdem jammerte er weiter, damit die Ente nicht aufhörte ihn zu benetzen. Sie flog hin und her, immer wieder. Und er lag der Länge nach im Liegestuhl und genoss das kühle Nass.

Nach einer Stunde wurde die Ente müde. Fliegen konnte sie nicht mehr und ihr wackliger Gang wurde langsamer und schleppend. Sie zog bereits einen Fuss hinter sich her, denn sie war total erschöpft. Jetzt war seine Zeit gekommen. "Lass mich nun aufsteigen und bring mich auf die andere Seite, liebe Ente", hörte sie ihn sagen. Doch sie traute ihm nicht. Er würde sie beschmutzen und verletzen. Sie hörte genau, dass seine Höflichkeit unehrlich war. "Ich kann dich nicht fliegen, dafür bin ich jetzt viel zu müde, doch ich helfe ich dir noch ein letztes Mal." Sie watschelte ans Flussufer und pflückte das Blatt einer grossen Seerose. Auf dieses Blatt setzte sie Macho. Dann zog sie ihn mit ihrem Schnabel wie auf einem Schlitten ans Ufer. "Mein Dienst ist hiermit zu Ende. Du musst nun selber schauen, wer dir weiterhilft." Sie ging zurück zu ihrer Familie, die bereits auf sie wartete. Vergeblich hoffte sie auf ein Dankeschön. Von Machos Seite her kam nichts, alles war für ihn selbstverständlich.

Stattdessen hockte er nun am Seeufer und fluchte. Es konnte doch nicht sein, dass sich dieses Federvieh von ihm nicht überlisten liess. Er musste unbedingt ans andere Seeufer gelangen. Als er so vor sich her grübelte, tauchten plötzlich zwei grosse Augen aus dem Wasser auf. Eine Schildkröte hatte ihr Morgenbad genommen und machte es sich nun auf einem Stein gemütlich. Sie genoss die warmen Sonnenstrahlen, denn sie war durch ihren Panzer und ihre dicke Haut geschützt. Sie schaute zu Macho hinunter, der noch immer fluchend am Ufer sass. Sie hatte gesehen, was er mit der Ente gemacht hatte, wie er sie erst umgarnt und dann ausgenutzt hatte. Sie kannte ihn schon lange und wusste, dass er ein unangenehmer Geselle war. Er störte den Frieden in diesem Paradies. Alle wären froh gewesen, wenn er endlich weg gegangen wäre.
Und dazu bot sich nun die Möglichkeit. Macho legte erneut sein Sonntagsgesicht auf und schaute der Schildkröte tief in die Augen. "Hallo, meine liebe schöne Dame. Könntest du mich eventuell ans andere Seeufer bringen? Das wäre unheimlich nett von dir, denn mit meinem Tempo schaffe ich das nicht. Selbstverständlich würde ich dir im Gegenzug einen Gefallen machen." Noch während er diese Worte aussprach, war Macho sicher, dass das eine Lüge war. Nie und nimmer würde er diesem Panzervieh einen Gefallen machen.

Da hatte er die Schildkröte aber unterschätzt. Diese sah endlich die Chance, den schleimigen Kerl loszuwerden. Wenn sie ihn auf ihren Panzer kriechen liess und ihn auf die andere Seite brachte, waren sie ihn los. Dennoch wollte sie ihm diesen Dienst nicht einfach so erweisen, denn schliesslich hatte er ihr ja was versprochen.

"Okay, Macho, wenn du mir Löwenzahn und Klee für meine Kinder holst, schwimme ich mit dir rüber." Macho war sauer. Jetzt musste er auch noch arbeiten, wie doof! Doch es gab keine andere Möglichkeit. Er kroch durch das Gras und pflückte Löwenzahn, den er der Schildkröte überreichte. "Welche Anstrengung für diesen kleinen Dienst. Manche Tiere sind schon unverschämt", schimpfte er. "So, das müsste genügen. Nun aber los!" Er kletterte auf den Panzer der Wasserschildkröte und die Seerundfahrt begann. Sie war schnell und sehr geschickt beim Schwimmen. Trotzdem spritzte ihm viel Wasser ins Gesicht. Sie tauchte mit ihm auch kurz unter um ihn zu necken. Schon dachte er, sein Ende sei gekommen, als das Wasser über ihm zusammenschlug. Doch die Schildkröte wollte ihn nicht umbringen, lediglich loswerden. Nach kurzer Zeit kamen sie am Ufer an. Er kletterte runter und verschwand im Gras ohne nur einmal zurückzuschauen. "Typisch für dich, du ungehobelter Kerl", murmelte sie. Dann glitt sie wieder ins Wasser und schwamm zurück.

Er kroch weiter, von Blatt zu Blatt, von Grashalm zu Grashalm. Endlich hatte er sein Ziel erreicht, die schöne Blumenwiese unter den hohen schattigen Bäumen. Er legte sich der Länge nach hin und genoss sein Leben.
Auf der anderen Seite des Teiches jubelten die Tiere, als die Schildkröte aus dem Wasser stieg. Sie war der Held des Tages, hatte ihren gemeinsamen Feind "beseitigt" und ihm noch das Gefühl gegeben, dass er das Panzertier überlistet hatte. Sie wollten diesen Moment feiern und alle Tiere zu einem Fest einladen. Noch am gleichen Abend kamen alle zusammen. Wer singen konnte, sang aus lauter Kehle. Die Enten brachten ihre Küken mit. Die Schildkröten liessen die Kleinen auf ihrem Rücken reiten wie Kinder auf den Elefanten. Eine grosse Igelfamilie gesellte sich zu ihnen. Auch die Schnecken kamen ans Fest, wenn auch mit viel Verspätung. Endlich konnten sie befreit mitfeiern. Ihr Peiniger war weg. Sogar Rehe und Hasen schauten vorbei, was es am Seeufer zu jubeln gab. Am Waldrand sahen sie einen Fuchs sitzen, der sie beobachtete, jedoch nicht näher kommen wollte. Es war eine ausgelassene Gesellschaft, die bis spät in der Nacht feierte.

Das fröhliche Fest war weit zu hören, auch auf der anderen Seeseite. Macho war auf einen Stein geklettert, um die ausgelassenen Tiere von der anderen Seite zu beobachten. Sie hatten es sehr lustig da drüben. Er hörte ihr Lachen und ihr Singen. Sie schmatzten an den Leckereien herum, die ihre Gäste mitgebracht hatten. Es herrschte vollkommene Zufriedenheit. Das Glück war wieder im Paradies eingezogen.
Erst jetzt realisierte Macho, wie einsam er doch war. Und das machte ihn traurig. Er hatte die Gunst der Tiere verspielt, und sie hatten ihn ausgestossen. Nun war er ganz allein. Doch er wusste, dass er selber schuld war an dieser Situation. Mit seiner bösen Art hatte er alle vergrault. Hätte er nochmals eine Chance, würde er alles besser machen. Doch niemand kümmerte sich um ihn. Er musste aus der Ferne zusehen, wie das Fest erst in den Morgenstunden zu Ende ging. Der Mond stand noch hoch oben am Himmel und lächelte. Dann ging auch Macho schlafen. Er legte sich unter einen grossen Stein und hoffte, dass der nächste Tag besser würde.

Doch auch am nächsten Tag war die Situation unverändert. Er hatte nun zwar ein Schattenplätzchen gefunden, doch dort lebte ausser ihm niemand. Alle Tiere tummelten sich auf der Sonnenseite des Sees.
Die Tage vergingen, und er schaute immer wieder hinüber in seine alte Heimat. Er hatte Heimweh! Hier gab es niemanden, mit dem er hätte reden können. Nicht einmal ein Wurm kroch aus dem Boden, um ihm Gesellschaft zu leisten. Sogar die Fliegen blieben tagsüber verborgen. Es war totenstill hier. Er konnte die Ruhe kaum mehr ertragen. Er musste hier weg. Immer wieder spähte er hinüber auf das andere Seeufer. Dann sah er sie – Goldie! Sein Herz pochte wie wild. Sie sass auf einem Stein auf der Sonnenseite des Sees, umgeben von anderen Schneckenmännern, die mit ihr flirteten. Sie war die schönste Gestalt, die er je gesehen hatte. Er musste einen Weg finden, um zu ihr zu gelangen. Es war Liebe auf den ersten Blick.

Auf einem Zweig im Schatten sass der kleine Wichtel. Er betrachtete Macho ausgiebig. Er kannte seine Geschichte und hatte das Spiel auf der anderen Seite verfolgt. Er wusste, was Macho nun vorhatte. Natürlich würde er ihm helfen, doch diesen Heimweg musste er sich verdienen. Macho musste einsehen, dass er seine Einstellung ändern musste, dass das Leben nicht nur aus Geben besteht, dass man die Anderen nicht nur ausnützen kann. Er musste lernen, auf die Bedürfnisse der anderen einzugehen und auch einen Beitrag zum Allgemeinwohl zu leisten.
Er hüpfte vom Ast und landete direkt vor Macho, der traurig auf seinem Stein sass. Macho schaute zu ihm hoch. "Macho, ich kenne dein Problem, und werde dir helfen, wenn du kooperativ bist. Du bekommst drei Aufgaben, die du erfüllen musst, dann bringe ich dich zu Goldie."

Die erste Aufgabe bestand darin, die Entenküken zu hüten, damit die Mutter in aller Ruhe Futter besorgen konnte. Nie hätte Macho gedacht, dass diese Aufgabe so schwierig war. Die Küken waren flink und schnell. Sie liefen kreuz und quer durch die Wiese, schnappten nach Würmern und Insekten. Sie waren derart vital, dass er sie kaum in Schach halten konnte. Sie kümmerten sich nicht darum, wie weit sie sich vom Nest entfernten. Sie watschelten einfach drauf los. Und Macho musste nun schauen, dass er alle beisammen hielt. Hatte er eines ins Nest zurück gebracht, rannte das andere bereits wieder zum Seeufer. Und als Schnecke war er nicht schnell genug, um alle gleichzeitig zu holen. Er kroch hin und her und auf und ab. Es war für ihn körperlich die Hölle. Sein Bauch schmerzte vom vielen Herumkriechen. Er war todmüde und sehnte sich nach einem Bett und Ruhe. Doch dann dachte er an Goldie. Sie war es wert, dass er sich so anstrengte.
Auch wenn dieses Kinderhüten anstrengend war, tat ihm die Bewegung gut. Sein Bauchumfang verringerte sich schlagartig, sodass er bereits am Abend, seit langer Zeit das erste Mal wieder, in seinem Schneckenhaus übernachten konnte. Er schlief tief und fest wie schon lange nicht mehr. Er träumte davon, wie schwierig die Aufgabe einer Entenmutter war, ihren Nachwuchs zu versorgen. Plötzlich hatte er grossen Respekt vor dieser Arbeit. Doch für die Entenmütter schien das ganz normal zu sein. Sie tun das ohne etwas dafür zu verlangen, einfach aus Liebe zu ihren Küken. Sie lieben bedingungslos und sind glücklich, wenn es die Kinder auch sind. Er schämte sich plötzlich, dass die Enten ständig für ihn arbeiten mussten und er sie am Schluss auch noch ausnützen wollte. Er hatte ihre Arbeit nicht gesehen und honoriert. Stattdessen war er zu ihnen böse gewesen und hatte ihnen gedroht, den Kindern etwas anzutun, wenn sie ihn nicht bedienen würden. Wie sehr er sich nun schämte.

Einen Tag später kam der Wichtel wieder mit der zweiten Aufgabe. Heute musste er den Igeln helfen einen neuen Bau anzufertigen. Bald würden ihre Babys auf die Welt kommen, dann musste das neue Nest fertig und bezugsbereit sein. Machos Aufgabe bestand darin, einen Weg mit seinem Schleim zu pflastern. Auf diesem Weg war es für die Igel dann einfacher, die Blätter und Aeste zum Nest zu transportieren. Auch an diesem Tag arbeitete Macho auf Hochtouren. Noch nie hatte er so viel Sekret produziert und verteilt. Doch dafür musste er weite Wege zurücklegen. Sein Rücken schmerzte und seine Beine waren halb taub. Doch der Weg war fertig und die Igel konnten nun ihr Nest bauen. Er schaute ihnen zu wie sie Aeste, Blätter und Gräser zum Unterschlupf zogen und daraus ein Nest formten. Es war kaum zu glauben, wie geschickt sie waren. Dabei hatte er bis jetzt nur über sie gelacht, "die stachligen Nichtsnutze" hatte er sie genannt. Dabei waren es sehr hübsche und nützliche Tiere. Zudem hatten sie wunderschöne Kulleraugen und ein interessantes Stupsnäschen. Und mit ihren Pfoten konnten sie geschickt buddeln und arbeiten, was er nie gedacht hätte. Obwohl sich die Igel zu einem grossen Teil von Schnecken ernähren, liessen sie Macho in Ruhe. Er hatte ihnen geholfen, und dafür waren sie ihm dankbar.

Am Abend stand der Wichtel von ihm. "Danke, Macho, das hast du gut gemacht. Nun folgt noch eine letzte Aufgabe, dann ist der Weg für dich frei, um heimzukehren." Die letzten Worte konnte Macho nicht mehr hören, denn er war so müde, dass er in einen tiefen Schlaf fiel. In der Nacht träumte er von Goldie, die sein Herz in Windeseile erobert hatte.

Die dritte Aufgabe erklärte ihm der Wichtel am nächsten Morgen. Er musste den Waldameisen helfen. Diese lebten mit ihrem Volk nicht weit weg unter einem Baum. Sie hatten ein riesengrosses Schloss erbaut und arbeiteten jeden Tag sehr fleissig. Nebst der Nahrungssuche hielten sie ihr Königreich sauber. Wenn es am Schloss etwas zu reparieren gab, erledigten sie das sofort. Sie riefen dann alle Arbeiter zusammen. Es waren sehr viele, sodass die Arbeit innert kurzer Zeit erledigt war. Ihre Königin vergötterten sie. Sie war sehr hübsch und begehrt. Im Vergleich zu anderen Ameisenköniginnen, von denen sie gehört hatten, war sie herzensgut. Sie hatten sie Diana getauft, wie damals die englische Königin der Herzen. Das Volk bekam alles, was das Herz begehrte. Diana war aber auch wirklich gut zu ihren Untertan und gewährte ihnen lange Pausen, wenn es wieder mal heiss war. Die Ameisen waren eine glückliche Familie, die jeden Tag etwas grösser wurde.

Zum Geburtstag ihrer Königin hatten sich die Arbeiterinnen ein schönes Geschenk ausgedacht. Ihr Thron, auf dem sie jeden Tag sass, war alt und vermodert. Er hätte eine Renovation nötig gehabt, doch fanden sie ständig Ausreden, um die Reparatur zu verschieben. Sie hatten nämlich ihrer Königin einen neuen Thron gebaut. Damit sie ihr Geschenk nicht schon vor dem grossen Festtag entdeckte, hatten sie ihn hinter der Waldhütte zusammengebaut. Alle hatten geholfen, hatten dafür jeden Tag etwas Freizeit geopfert. Sie waren gespannt, was Diana zu diesem einzigartigen Geschenk sagen würde.
Einen Tag vor Dianas Geburtstag war es so weit. Sie wollten den fertigen Thron zum Nest transportieren. Die stärksten ihres Volkes mussten diese Aufgabe übernehmen. Am Abend schlichen sie sich davon zur Waldhütte. "Ho, ho, hoppla – ho, ho, hoppla", riefen sie gemeinsam. Mit aller Kraft versuchten sie, den neuen Sessel hochzuheben und zum Schloss zu tragen. Er bewegte sich keinen Millimeter. "Holt mehr Arbeiter", rief der Chef den Arbeitern zu. Gesagt, getan, eine riesige Anzahl kräftiger Tiere war nun hier und bereit, den Thron zum Schloss zu bringen. "Ho, ho, hoppla – ho, ho, hoppla – höher – nochmals!" Es nützte nichts, der Thron war zu gross und zu schwer geworden. Sie versuchten es immer wieder, bis zur totalen Erschöpfung, aber es war aussichtslos.
Genau zu dieser Zeit schlich sich Macho zur Waldhütte. Der Wichtel hatte ihm gesagt, er müsse dem Ameisenvolk helfen. Diese Kreaturen waren eigentlich nicht seine Freunde, denn sie waren überall und kitzelten ihn ständig mit ihren Beinen. Aber er wollte zurück nach Hause, und dafür würde er gute Miene zum schlechten Spiel machen.

"Wartet mal, ich helfe euch", rief er ihnen zu. Er überlegte scharf, wie man das Problem beheben könnte. "Nun weiss ich es", erklärte er "Ihr müsst vor dem Sessel einen Graben machen, in den ich mich stellen kann. Dann könnt ihr den Thron von der Seite her zu mir schieben, auf mein Schneckenhaus. Ich werde ihn dann mit meinem Schleim befestigen. Auf diese Weise kann ich ihn zu euch ins Schloss bringen." Die Ameisen machten sich sofort an die Arbeit. Sie hoben einen Graben aus, genau so tief, dass Macho hineinkriechen konnte. Dann stellten sie sich in einer Reihe auf und schoben den Sessel auf Machos Rücken. Es funktionierte genauso, wie Macho es erklärt hatte. Kaum war der Thron da oben setzte sich der Trott in Bewegung. Sie kamen langsam voran, doch als am Morgen von Dianas Geburtstag die Sonne aufging, stand der Sessel dort, wo der alte vermoderte Thron gestanden hatte. Er glänzte, denn er war mit Edelsteinen bestückt. Natürlich war er grösser als der alte Sessel, denn auch die Königin war nun ausgewachsen und grösser geworden.

Diana war überglücklich und stolz auf ihr Volk. Sie bedankte sich und erklärte den heutigen Tag zum Feiertag. Alle durften mit ihr feiern und für einen Tag die Arbeit niederlegen. Es wurde viel gelacht und getanzt. Als Dankeschön hatte Diana ein leckeres Nachtessen bestellt, und somit war auch für das leibliche Wohl gesorgt. Macho war auch eingeladen als Dankeschön für seine Dienste. Niemand wusste, weshalb er ihnen geholfen hatte. Er war einfach zur rechten Zeit am richtigen Ort. Er hockte an einem der Festtische und betrachtete die Tiere, wie sie ausgelassen und glücklich waren. Wie er die Ameisen doch beneidete. Sie waren eine grosse Familie, die sich gegenseitig half, egal wie unangenehm und schwer die Arbeit auch war. Plötzlich waren ihm die Waldameisen nicht mehr lästig. Er bewunderte sie. Zu später Stunde und mit einem guten Gefühl im Bauch verabschiedete er sich. Er musste zurück und sich für die Heimreise bereit machen.
Am nächsten Morgen, als Macho die Augen öffnete, sassen zwei Enten und die Schildkröte vor ihm. Auf dem Baum hockten Spatzen und trällerten ein Lied. Im Teich quakten Frösche und sprangen von einem Seerosenblatt zum nächsten. Hinter ihm, auf der Wiese, graste ein Reh. Plötzlich gab es Leben, wie schön! Sie alle waren gekommen, um ihn abzuholen und nach Hause zu bringen. "Hock dich auf mich", sagte die Ente. Dein Schleim stört mich nicht mehr. Ich kann mich ja nach der Ueberfahrt wieder putzen. Zudem bist du nun so schlank, dass ich dein Gewicht ohne Probleme tragen kann." Das liess sich Macho nicht zweimal sagen. Er kroch so schnell er konnte auf den Rücken der prächtigen Ente. Wie weich und kuschelig es da oben war. Er hielt sich gut fest, als sie mit einem kecken Sprung ins Wasser hüpfte. Das Wasser spritzte bis zu ihm hoch, doch das Gefieder der Ente nahm es gar nicht auf. Alles perlte an ihr hinunter, und auch er wurde nicht nass. Sie paddelte mit ihren kräftigen Füssen und glitt wie ein Boot übers Wasser. Das Duo wurde von den Fischen und Schildkröten begleitet. Von seinem Hochsitz aus sah Macho die Frösche, die von einem Blatt zum anderen sprangen und die Seespinnen, die lautlos über das Wasser huschten. Unter ihnen zogen Hunderte von farbigen Fischen ihre Bahnen. Ueber ihnen flogen ganze Spatzenfamilien als Eskorte. Frösche hüpften ins Wasser, als sie sich ihnen näherten. Sie versteckten sich unter den grossen Seerosenblättern. Er bestaunte plötzlich die schönen Seerosen, die er bisher noch nie so richtig gesehen hatte. Alle Tiere begleiteten Macho, der endlich heimkehren durfte.
Am Seeufer stand Goldie und lächelte ihm zu. Sie war in Wirklichkeit noch schöner, als er gedacht hatte. Sie wartete auf ihn, um ihn aufgeregt zu begrüssen. Auch sie hatte sich sofort in Macho verliebt. Zwar hatte sie viel Schlechtes über ihn erfahren, wusste aber, dass er dafür gebüsst hatte und nun eine zweite Chance bekam. Jetzt wollte sie den "neuen" Macho kennenlernen und ihm helfen, sein neues Leben in den Griff zu bekommen.

Macho hatte sich wirklich verändert. Bei seinem Aufenthalt auf der Schattenseite des Sees hatte sich sein Leben verändert. Er hatte plötzlich erkannt, dass man ohne Freunde einsam ist, dass man aber auch etwas tun muss, um Freunde zu haben und zu behalten. Er war als böser Kerl weg gegangen und als liebe, bescheidene Schnecke zurückgekehrt.

Es dauerte nicht lange und aus Goldie und Macho wurde ein Paar. Sie blieben zusammen und wollten den Lebensweg gemeinsam gehen. Man sah sie oft zusammen spazieren gehen. Sie zogen bei ihren Spaziergängen eine doppelte Schleimspur hinter sich her. Jeder wusste also, dass Goldie und Macho wieder mal unterwegs waren.

Doch eines Tages wurde aus der doppelten Spur eine dreifache, denn der Nachwuchs liess nicht lange auf sich warten. Sie hatten sich und ihr gemeinsames Glück gefunden. Auf der Sonnenseite des Sees hatten die Tiere ihr Paradies zurückbekommen. Und wenn sie nicht gestorben sind, leben sie noch heute in einer friedlichen Gemeinschaft, ohne Hass und Streit, dafür mit wahren Freunden.
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