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Buch 1
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Es schien sich in der Nachbarschaft herumgesprochen zu haben, dass es bei Tina stets gutes Futter gab und man dort Besuche abstatten konnte. Ab und zu brachten die eigenen Stubentiger Freunde nach Hause, die jedoch nur kurz blieben. Meistens traf man sich aber auf dem Gartensitzplatz oder auf der benachbarten Baustelle.

Es gab da Tigrette, eine siamähnliche Schönheit mit Tigerflecken. Sie zog mit ihrer Menschenfamilie in die Nachbarschaft. Auf ihren ersten Streifzügen entdeckte sie Tinas Wohnung und kam des öftern auf Besuch. Mit Tasja der Hexe hatte sie eines Tages den grössten Krach, da jede die schönere sein wollte. Tasja jagte die Rivalin kurzerhand davon und liess sie nicht mehr in die Wohnung.

Am Abend kam regelmässig ein rotgetigerter Kater, der sehr scheu war.  Tina wusste nicht, zu welcher Familie er gehörte. Es kam aus leisen Sohlen und stahl die besten Stücke Fleisch aus der Futterstelle. Wenn Tina ihn entdeckte, schlich er sich so leise davon wie er gekommen war.

In den neuerstellen Einfamilienhäuser wohnte eine norwegische Waldkatze. Der riesengrosse Kater hatte langes Haar und war braun getigert. Auf seinen ersten Streifzügen kam er in Tinas Garten. Mit ihm war keine Freundschaft zu schliessen, er wollte die Umgebung beherrschen. Nach einigen Raufereien sah er schliesslich ein, dass dieser Garten ein Tabu für ihn war und er verschwinden musste. Auch Pipo, der kleine Nachbarshund, wollte die Katzenfamilie kennenlernen. Er war nur wenige Wochen alt, als er nach Kaiseraugst kam. Hätte er den Trick mit der Katzentüre geschnallt, wäre er vermutlich des öftern bei Tina erschienen. Eigentlich wollte er nur mit den Katzen spielen, doch diese waren am Spiel nicht interessiert. Sie wussten genau, dass um Pipos Garten ein grosser Zaun war und er dadurch nicht raus konnte. Sie stolzierten mit hocherhobenem Schwanz um den Zaun herum, kaum eine Nasenlänge von ihm entfernt. Pipo wurde fast verrückt. Er konnte sie sehen, riechen und bebellen, doch hatte er keine Chance, sich ihnen zu nähern. Er fand es ziemlich unverschämt, welch schäbiges Spiel diese Vierbeiner mit ihm trieben. Er ergriff deshalb jede kleinste Gelegenheit, um seinen Besitzern zu entkommen und zu Tina zu rennen.

Hätte er eine der stolzen Katzen erwischt, hätte er ihnen die Leviten lesen können. Doch aus diesem Vorhaben wurde nichts. Die Katzen hatten einen siebten Sinn. Wenn sie Pipo kommen sahen, kletterten sie kurzerhand auf den nächsten Katzenbaum und lachten ihm frech ins Gesicht.
Es war schon ein Hundeleben mit diesem Nachbarsvieh, dachte sich Pipo, und fand sich mit der Situation eines Tages ab.

Wie es bei Katzenviren befallenen Menschen üblich ist, war auch Tina in sämtlichen Katzen- und Tierschutzvereinen der Umgebung Mitglied. Dort traf man sich zum Austausch von Neuigkeiten und zum geselligen Beisammensein. Einer dieser Vereine vermittelte Katzensitter, die während der Ferienabwesenheit der Besitzer die Fütterung und Betreuung der Samtpfoten übernahmen. Auch Tina war eine Katzensitterin, die ihre Aufgabe sehr ernst nahm. Sie nahm zum Teil grosse Wegstrecken auf sich, um sich um die zurückgebliebenen Katzen zu kümmern.

An einem schönen Abend erhielt sie einen Anruf aus unmittelbarer Nähe. Eine Familie wollte in Urlaub und brauchte unbedingt für zwei Wochen einen Katzensitter. Tina ging zum Vorgespräch in die Katzenfamilie. Nebst den vier menschlichen Familienmitgliedern gab es dort zwei vierbeinige „Geschwister“. Die grosse Schwester war eine einjährige Tigerkatze, der kleine Bruder ein Winzling von kaum 10 Wochen. Er war pechschwarz und neugierig wie alle Katzenkinder. Es gab da allerdings noch ein kleineres Problem, das Tina noch den Schlaf rauben sollte. Gross und Klein vertrugen sich noch überhaupt nicht. Madame Tiger hatte sich mit dem Neuankömmling noch gar nicht abgefunden und war komplett erbost, dass der Kater Snoopy nun alle Streicheleinheiten erhielt. Sie beschloss, sich ausschliesslich draussen aufzuhalten, dort nämlich, wo der Kleine noch nicht hindurfte. Nur zur Fressenszeit stellte sie sich vor die Türe und wartete, bis das Feld drinnen frei war. Nach dem letzten Bissen und einem kräftigen Fauchen in Richtung Snoopy verliess sie die Wohnung.

Und Tina übernahm den Betreuungsauftrag, ohne sich über diese Zustände Gedanken zu machen. An ihrem ersten Fütterungstag begab sie sich am Morgen und am Abend für je eine Stunde in die Parterre-Wohnung um die Ecke. Grundsätzlich ging alles wunderbar. Erst am zweiten Abend, als Tina den kleinen Snoopy so einsam da sitzen sass, wurde ihr klar, dass es für diesen Winzling eine Zumutung war, allein gelassen zu werden. Kaum hatte er sich in der neuen Familie eingelebt, liess man ihn einfach allein. Und die einzige Kontaktkatze, wollte nichts von ihm wissen. Er war über alles traurig und schaute Tina mit seinen grossen, runden Augen hoffnungsvoll an. Und diesem Blick war Tina nicht gewachsen. Sie war hin- und hergerissen, überlegte, was sie tun könnte. Wie immer, wenn es um Tiere ging, setzte Tinas Verstand aus. Sie liess sich
vom Gefühl leiten, packte Snoopy kurzerhand in den Tragkorb und brachte ihn zu sich nach Hause. Für Snoopy war das eine paradiesische Lösung. Er schaute sich in der neuen Wohnung um und erkundete alle Winkel und Liegeplätze. Es roch nach den unterschiedlichsten Katzenpfoten und er war gespannt, was noch geschehen würde. Es dauerte nicht lange, bis Tinas Katzenfamilie nach Hause kam. Sie schauten den kleinen schwarzen Kerl etwas eigenartig an, doch liessen sie ihn in Ruhe, denn schliesslich gehörte er zur geschützten Rasse der Katzenbabies. Er freute sich über die anderen und wollte mit ihnen spielen. Doch daraus wurde vorerst nichts, denn sie waren nicht daran interessiert, mit „Kleinkindern“ zu spielen. Sie liessen ihn links liegen.

In der Nacht legte sich Snoopy zu Tina und fühlte sich dadurch nicht mehr so allein. Man hatte Tina vorgewarnt, hatte ihr die kleine Schwäche von Snoopy aufgezeigt. Doch sie konnte sich in Theorie nicht vorstellen, was die Praxis nun aufzeigte. Snoopy war vermutlich nicht richtig entwöhnt worden, denn er suchte sich bei Tina die beste Stelle, an der er nuggeln konnte. Und was liegt da näher, als das Ohrläppchen. Er zapfte sich kurzerhand dort an und nuggelte, nuggelte und nuggelte. Dazu schnurrte er ganz aufgeregt. Eine schnurrende, schmatzende Katze so dicht am Ohr garantiert einen unruhigen Schlaf, davon kann Tina heute ein Lied singen. Jede Nacht überkam Snoopy mehrfach ein Nuggelgefühl. Dann legte er sich ans Ohr und begann von neuem zu schmatzen.

Zu Beginn fand Tina das recht amüsant. Sie war sogar leicht stolz darüber, dass Snoopy sie als Ersatzmutter betrachtete. Doch nach einigen Nächten begannen ihre Ohrläppchen anzuschwellen und wund zu werden. Es war fast nicht möglich, den kleinen Kerl fernzuhalten. Die Ohrläppchen waren für ihn wie ein Magnet. Wenn er sie entdeckt hatte, gab es kein Entrinnen. Die einzige Möglichkeit ihn fernzuhalten, war die, dass Tina sich die Ohren zuhielt. Da Tina jede Nacht mehrfach geweckt wurde und dadurch zu wenig Schlaf erhielt, war sie am Morgen schlaff und wie gerädert. Sie zählte die Tage, bis die Katzenfamilie zurückkam, obwohl sie den kleinen schwarzen Kater ins Herz geschlossen hatte.

Drei Tage vor Rückkehr seiner Familie rannte Snoopy einer der Katzen nach. Als diese plötzlich verschwand, blieb er hinten dicht. Tina, die von einer Sitzung zurückkam, suchte Snoopy vergebens. Sie konnte sich ausrechnen, was passiert war. Es war bereits dunkel draussen und Tina hatte keine andere Wahl, als in der ganzen Umgebung mit einer Taschenlampe Snoopy zu suchen. Wer schon einmal eine schwarze Katze, die sich wohlweislich versteckt, in der Nacht gesucht hat, kann sich vorstellen, dass Tina keinen Erfolg hatte. Snoopy war verschwunden und in Tina stieg ein ungutes Gefühl hoch. Aus dem unguten Gefühl wurde ein grosses Unbehagen und wenig später Panik. Wie sollte sie das der fremden Katzenfamilie erklären, dass sie ihren Snoopy verloren hatte. Sie machte sich grosse Vorwürfe, dass sie Snoopys Cleverness unterschätzt hatte. Sie hätte ja wissen müssen, dass er eines Tages herausfinden würde, was eine Katzentüre ist. Dennoch legte sie sich um Mitternacht ins Bett und versuchte zu schlafen. Sie hatte Alpträume und sah den kleinen Snoopy verloren umherirren. Wenn er nur den Weg auf die Strasse nicht fand. Sie wälzte sich im Bett. Erst nach ein Uhr fiel sie in einen unruhigen Schlaf. Um zwei Uhr in der Früh wurde sie geweckt durch ein schmatzendes Geräusch an ihrem Ohr. Sie spürte eine raue Zunge und ein nasses Ziehen, begleitet von einem intensiven Schnurren. Snoopy war zurückgekehrt und hatte sich an Tinas Ohr angedockt, um eine Runde zu nuggeln.

Auch wenn das Ohr mittlerweile höllisch brannte, war es für Tina eine Wohltat, Snoopy zu spüren. Sie beschloss die Schlafzimmertüre abzuschliessen und Snoopy bei sich zu lassen. Auf diese Weise überstanden sie die nächsten Nächte. Tagsüber brachte sie Snoopy in sein eigenes Heim, damit er eine Weile ungestört schlafen konnte.

Und schwarz war am Robenweg eine begehrte Farbe. Auch Nero, der kleine Kater mit den Schrumpföhrchen war pechschwarz. Seine Ohrränder waren rund und leicht eingerollt und verliehen ihm dadurch einen liebevollen Ausdruck. Er wohnte in einer Familie, die ihn sehr liebte. Nero war für sein Alter äusserst klein, als er die erste Begegnung mit Tina hatte. Seine Menschen führten ihn an einer langen Leine aus. Sie hatten Angst um ihn, fürchteten, dass er auf die Strasse rennen und überfahren werden könnte. Zu Beginn ging dies alles wunderbar. Zum Erstaunen aller Nachbarn liess Nero sich wie ein Hund ausführen. Schwierig wurde es nur, wenn er nullkommaplötzlich auf einen Baum kletterte.

Doch Neros Familie liess ich überzeugen, dass er ein Freigänger war und seinen Freiraum brauchte. Sie fassten sich ein Herz und liessen ihn in die Freiheit. Ein rotes Halsband als Zierde und mit Adressanhänger versehen, schmückte seinen schwarzen Hals. Nero entwickelte sich zu einem hartnäckigen Kandidaten. Er wollte Gesellschaft, wollte ununterbrochen spielen. Wenn jede von Tinas Katzen nur eine Stunde mit ihm spielen würde, wäre der Tag gerettet.

Meistens führte ihn am Morgen der erste Weg zu Tina. In der einen Katzentüre kam er rein, rannte quer durch die Wohnung und zur anderen Türe wieder raus. Begegnete er einer Tinas Katzen, forderte er sie zum Spiel auf. Besonders Smokie war seine Leidenschaft. Sie war die jüngste und für seine Attacken prädestiniert. Er sprang sie an, hieb nach ihr, hüpfte in die Höhe, um ihr Eindruck zu machen. Doch Smokie wollte nicht. Sie wollte tagsüber schlafen, denn sie war während der Nacht unterwegs. Meistens rannte sie vor ihm weg und suchte sich ein Schlafplätzchen, das er nicht kannte oder nicht erreichen konnte. Fand sie aber auf die Schnelle keine Ausweichmöglichkeit, war sie Neros Angriffen ausgeliefert. Dann ging es hoch her in Tinas Wohnung und oftmals musste sie um ihre Einrichtung bangen. Dann knallte und polterte es und die Katzentüren gingen unentwegt auf und zu. Für Aussenstehende war es nicht klar, ob es sich hierbei um Spiel oder Feindschaft handelte. Tina liess sie aber gewähren. Sie wusste, dass Smokie sich schon wehren würde, wenn Nero sie belästigte. Und Nero brauchte diese Spielgelegenheit zum Austoben, hatte er zu Hause keinen Bruder oder keine Schwester, mit der er hätte rumtoben können.

Zu Beginn kamen Neros Menschen noch ab und zu vorbei, um ihn abzuholen. Mit der Zeit wussten sie aber, dass Nero den kurzen Heimweg finden würde. So ging Nero bei Tina ein und aus, als ob er dort wohnte. Meistens schnappte er sich im Vorbeigehen einen leckeren Happen Katzenfutter, der dort für Tinas Tiere bereitstand. Im Verlaufe des Sommers wurde aus dem kleinen Nero ein stämmiger grosser fantastischer Kater. Er hatte Fell wie Seide, das wunderbar glänzte. Es gab kein einziges graues oder weisses Haar an Nero. Auffallend waren sein dicker Schwanz und sein unersättliches Wesen. Wäre er ein Mensch gewesen, hätte man ihn Lausbub genannt. Er war für alle Streiche zu haben. Ab und zu schlich er sich am Sonntagmorgen, wenn Tina ausschlafen konnte, in die Wohnung, sprang auf ihr Bett und küsste sie liebevoll wach.

So gewöhnten sich Tina und ihre Katzen an die Dauergäste, die kamen und gingen. Diese brachten Abwechslung und ab und zu auch eine kleine Maus mit, denn auch in der Katzenwelt erhalten anscheinend kleine Geschenke die Freundschaft.




Fortsetzung folgt
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