Unglückliche Luna - Luskas Bücher

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Unglückliche Luna

Buch 7
Auch Luna hatte es nicht immer leicht mit ihren Artgenossen. Sie kam als Zweijährige zu Tina. Mit ihren hellblauen Augen und ihrem dichten hellen Fell glich sie einer Heiligen Birma. Das war sie aber nicht. In ihren Papieren stand „Britisch-Kurzhaar“. Sie war rasserein in der Farbe weiss mit grauem Gesicht. Diese Zeichnung nannten die Züchter blue-point. Briten sind vom Charakter her sehr ruhige und schon fast unscheinbare Tiere. Sie wirken durch ihr dichtes Fell und die kurzen Beine wie kleine runde Bären. Wenn man ihnen ins Fell greift versinkt man in der dichten Wolle. Im Winter, wenn sie noch zusätzliche Unterwolle und Winterspeck angesetzt haben, werden sie zu kleinen hübschen Kugeln. Im Vergleich zu Manolo, der ja auch ein Brite ist, schien Luna jedoch sehr klein.

Luna war ein Verzichtstier und bei Natascha abgegeben worden. Tina entdeckte sie dort bei einem Besuch. Während Tinas andere Katzen in der Gruppe lebten, war Luna nur mit ihrer Schwester zusammen gewesen. Sie kannte zwar Katzengesellschaft, war sich aber nicht gewohnt, eine grössere Anzahl ihrer Artgenossen um sich zu haben. Sie staunte nicht schlecht über das Kommen und Gehen bei Tina. Da kam vom einen Zimmer eine Graue rein und verschwand durch die Katzentüre nach draussen. In der Küche hockte eine alte Tigerdame über dem Fressnapf und kaute langsam am Futter herum. Auf dem Kratzbaum schlief eine Schildpattkätzin und im Wohnzimmer tobten die zwei jugendlichen Flegel herum. Es war Leben in diesem Haus, Katzenleben.

Luna sass im Eingangsbereich und staunte nur noch. Wie viele von ihrer Art wohnten wohl da? Sie ging langsam von einem Zimmer zum nächsten und schaute sich um. Ja, da könnte es ihr gefallen. Das Haus war gross und auf Katzen ausgerichtet. Wohin sie schaute gab es Decken, Schlafmulden, Kissen und Kratzbäume. Sie fragte sich, wo denn die Menschen wohnten? Noch wusste sie nicht, dass Tina mit ihren Katzen alleine lebte.

Als es Abend wurde, ging Tina in die Garage und holte Dosenfutter. Kaum in der Küche angelangt, kamen die Schleckmäuler aus allen Verstecken und warteten, bis sie das vertraute Geräusch hörten, das entsteht, wenn man eine Futterdose öffnet. Die Pelzigen konnten es kaum erwarten, liefen in der Küche kreuz und quer um Tinas Beine und drückten sich mit ihrem Körper an sie. Sie konnte kaum mehr gehen.

Sie bückte sich und hob die leeren Schüsseln auf. Wie vor jeder Mahlzeit wurden diese sauber ausgewaschen, danach mit neuem Futter gefüllt. „Miau, miau“, tönte es von unten. „Ja, ja, nur schön warten, bin bald so weit“, kam es von oben. Die Frechsten von ihnen sprangen auf die Anrichte. Vielleicht würden sie ja vor den anderen etwas abbekommen.

Nun konnte Luna die ganze Rasselbande betrachten. Sie fand jedes Tier auf ihre Art schön und konnte schon jetzt beobachten, dass die einen eher zurückhaltend und die anderen dafür rotzfrech waren. Allein durch diese erste Begegnung konnte sie bereits abschätzen, mit wem sie gut Freund würde und vor wem sie sich in Acht nehmen musste.

 

Etwas unfreundlich, dafür wunderschön schien ihr Ponga. Sie war die Königin der Katzen, eine Bengalin. Man nennt diese Tiere auch „Mini-Leoparden“, da ihre Zeichnung gleich aussieht wie die der grossen Raubkatze. Es war nicht zu übersehen, dass auch im kleinen Exemplar viel Wildes enthalten war. Als Ponga aus dem Untergeschoss zur Küche kam, wichen andere Katzen zurück. Es schien so, als sei sie nicht besonders beliebt. Ponga knurrte auch gleich, als ihr eine zu nahe kam. „Aha, vor der muss ich aufpassen“, dachte Luna. Noch immer sass sie bei der Küchentüre und schaute der Schar zu, die schmatzend das Nachtessen vertilgte. Danach sah es aus wie nach einer Schlacht. Zwar waren die Futterschalen so gross, dass mehrere Katzen gleichzeitig ihren Kopf reinstrecken konnten, doch liebten es die Tiere halt nicht, wenn sich ihr eigenes Schnauzhaar mit dem des Nachbarn traf. Also zogen sie die Futterstücke über den Schalenrand auf den Boden und beugten sich darüber. Zurück blieb ein schleimiger Fleck, den sie mit ihrer rauen Zunge ableckten.
Tina kannte diese Schweinerei, konnte daran aber nichts ändern. Sie hatte es auch schon mit kleinen Schalen, Tellern oder mehreren Futterstellen versucht. Untersätze, höhere Teller erwiesen sich als untauglich. Es half nichts. Die Tischmanieren ihrer Katzen liessen zu wünschen übrig. Es blieb ihr nichts anderes, als den Boden täglich zu schrubben.

Luna hockte noch immer da, als die Meute mit vollem Bauch an ihr vorbeirannte. Nur der Gigolo Manolo blieb einen Moment stehen, blinzelte ihr keck zu und sagte „Hey, Schöne, willkommen bei uns. Hast heute Abend schon was vor?“ Sofort verflog ihre Anspannung. Sie musste lachen. Was wollte dieser junge Kerl nur von ihr? Sie war im Vergleich zu ihm eine Oma.

Tina füllte einen kleinen Futternapf und stellte ihn Luna hin. Sie würde sich schon an die anderen gewöhnen. Doch heute sollte sie noch Ruhe haben beim Essen. Tatsächlich gewöhnte sich Luna sehr schnell ein. Nach zwei Wochen war nicht mehr erkennbar, dass sie erst seit kurzem hier lebte. Sie legte sich – wie die anderen Tiere – zu Tina aufs Sofa und nachts unten aufs Bett. Mit Manolo hatte sie ein abendliches Date im Garten. Er war ein lustiger Kerl, für alle Schandtaten zu haben. Von ihm erfuhr sie alles über das Leben mit Tina. Er erzählte ihr auch, dass sie sich vor der Bengalin in Acht nehmen müsse. Diese war zwar nicht böse, aber jagte die anderen Katzen kreuz und quer durchs Haus. Für Ponga war das eine Art Spiel, für die anderen Tiere, vor allem für die ängstlicheren unter ihnen, einfach nur Stress.
Luna war vom Wesen her eher gemütlich und liess sich von Ponga nicht einschüchtern. Trotzdem mochte sie es nicht, von ihr herumgetrieben zu werden. Sie verzog sich deshalb lieber ins Büro im Untergeschoss. Dort verbrachte sie die Zeit, wenn sie nicht im Garten war. Manchmal wurde ihr das hektische Leben in diesem Haus einfach zu viel und im Büro konnte sie Abstand und Ruhe finden.

Daran gab es gar nichts auszusetzen. Tina erkannte bald, dass Luna Ruhe brauchte und war froh, dass sie es sich im Untergeschoss gemütlich gemacht hatte. Auch da gab es einen Kratzbaum und ein Fensterbrett, auf dem man hocken und in den Garten schauen konnte. Die Monate vergingen und Luna grenzte sich immer mehr ab. Sie kam nur noch zum Fressen hoch, ging fast nie mehr in den Garten. Tina sah sie nur noch selten im Wohnzimmer. Sie wurde zur Einzelgängerin. Zwar blieb sie verschmust und zugänglich, aber sie mochte den Trubel nicht, den die Tiere im oberen Stock veranstalteten.
Als Tina an einem Montagmorgen zur Arbeit fuhr, dachte sie über Luna nach und fragte sich, wieso diese sich so abgesondert hatte. Auch hatte sie bemerkt, dass sie in letzter Zeit ein sehr struppiges Fell hatte, was bei Briten eher aussergewöhnlich ist. Sie pflegte sich zwar sehr gut, doch auf ihrem Kissen lagen stets Büschel von Haaren. Was konnte sie nur tun, damit Luna wieder glücklich würde? Sie liebte dieses Tier wie all die anderen, doch konnte sie nicht länger mitansehen, dass Luna unglücklich war. Es war doch kein Katzenleben, zwischen Büro und Keller zu pendeln und kaum Tageslicht zu haben. Sie musste etwas unternehmen, schoss es ihr wie ein Blitz durch den Kopf, und sie durfte nicht mehr länger warten. Sie musste Luna weggeben, auch wenn ihr das sehr schwer fiel. Bei diesem Gedanken wurde ihr zwar fast schlecht, denn sie liebte dieses Tier. Doch gerade wenn man liebt, muss man zum Wohle des Tieres manchmal Entscheidungen treffen, die einem selber wehtun.

Es kamen ihr etliche Möglichkeiten in den Sinn. Sie könnte Luna an Natascha zurückgeben oder im Internet ausschreiben? Ein Tierheim kam garantiert nicht in Frage. Sie ging in Gedanken ihre Freunde durch. Wer wäre wohl bereit, Luna ein besseres Leben zu bieten? Dann hatte sie die Lösung. Sie würde Luna ihrer besten Freundin anbieten, die selber schon Katzen hatte. Sie lebte mit ihren Tieren in einem grossen, wunderschönen Haus. Zwar gab es bei ihr keinen Freigang wie bei Tina, dafür ein grosses Aussengehege. Zudem war Luna schon seit Monaten nicht mehr in den Garten gegangen. Dafür wäre es bei Martina viel ruhiger. Sie beherbergte Perser-Katzen, die vom Wesen her sehr, sehr ruhig sind. Sie würde sie heute fragen. Während Martina beim Gedanken an einen Neuzugang sehr offen reagiert, war der Ehemann eher skeptisch. Aber er wusste genau, dass Martina das Spiel gewinnen würde.
So kam der Tag, an dem Luna umziehen sollte. Es kam auf einen Versuch an. Martina war bereit, Luna auf Probe aufzunehmen. Sollte sie sich bei ihr nicht wohlfühlen, würde Tina sie wieder zurücknehmen. Martinas Mann konnte sich unter Luna nicht viel vorstellen. Er war zwar schon öfters bei Tina gewesen, aber die Katze, die im Keller lebte, hatte er nie richtig gesehen. Auch die Bezeichnung „Britisch Kurzhaar“ sagte ihm überhaupt nichts. Und dann noch ein zusätzliches Tier? Schwirrten da nicht schon genügend Stubentiger rum? Naja, er kannte ja seine Frau. Wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, hatte er keine Chance, es ihr auszureden. Und es wäre ja nur ein Versuch.

Als Tina den Transportkorb öffnete und Luna den Kopf hinausstreckte, ging in seinem Gesicht die Sonne auf. „Welch schönes Tier“, sagte er voller Bewunderung. Seine Augen leuchteten. Er wünschte sich schon lange eine Katze, mit der er schmusen konnte. Und Tina wusste, dass Luna im Grunde genommen ein äusserst anhängliches Tier war. Sie würde ihn im Flug erobern, wenn sie in diesem Haus ihre Ruhe fand. Zwei Tage später kam die erste Rückmeldung. Luna liegt nachts Kopf an Kopf mit ihm im Bett. Es war auch bei Luna Liebe auf den ersten Blick.

Tinas Entschluss aus Liebe war genau richtig. Luna hatte ein Heim gefunden, in dem sie ihre Ruhe fand. Tina war dort öfters Gast und freute sich jedes Mal, wenn sie sah, wie gut es ihr ging. Das Fell, das so struppig war, wuchs nach und wurde von Martina alle paar Tage gebürstet. Luna entwickelte wieder die Schönheit, die sie einst besass. Es hatte Tina viel Ueberwindung gekostet, Luna wegzugeben. Sie hatte es sich sehr lange überlegt, war ihr Luna doch sehr ans Herz gewachsen. Aber manchmal muss man jemanden gehen lassen, auch wenn einem das Herz dabei blutet.
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