Kaum zu glauben aber wahr - Luskas Bücher

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Kaum zu glauben aber wahr

Buch 7
Noch immer lebte Shiva bei Mona, dies schon seit fast drei Jahren. Sie hatte Tina und die anderen Katzen schon lange vergessen. Mona und sie waren ein gutes Duo geworden. Shivas Liebe tat Mona gut. Sie fühlte sich nicht mehr so einsam wie vor ihrer Begegnung. Auch musste sie nun öfters ins Dorf runter, um Shiva Futter zu holen. Seit einigen Monaten spürte sie aber, dass ihre Beine nicht mehr richtig wollten. Mona war alt geworden. Jeder Schritt wurde schwierig. Besonders wenn Schnee lag, war der Weg ins Dorf ein Ding der Unmöglichkeit geworden. Manchmal brachte ihr Toni Lebensmittel und Katzenfutter rauf, doch ihm entging auch nicht, dass Mona es allein kaum mehr schaffte. Er versuchte sie – wie schon öfters – davon zu überzeugen, dass es nun Zeit war, in eine Seniorenresidenz zu ziehen.

Mona wehrte ab. Jetzt, wo Shiva bei ihr wohnte, konnte sie sich das schon gar nicht mehr vorstellen. Sie waren füreinander bestimmt und wollten sich nicht trennen. Shiva fehlte es an nichts, ganz im Gegenteil. Sie wurde von Mona liebevoll umsorgt und bekam mehrmals am Tag Leckereien. Wo früher noch das Fell schlaff um Shivas Körper hing, waren nun Fettpolster entstanden. Shiva war dick geworden, ungesund für eine noch so junge Katze. Aber Mona mochte den molligen Körper ihrer Lebensgefährtin, und Shiva liebte die Leckereien zwischendurch.

An einem warmen Frühlingsmorgen konnte Mona nicht mehr aufstehen. Ihre Füsse versagten den Dienst. Erste Versuche endeten darin, dass sie sich wieder aufs Bett fallen liess. In den letzten Wochen konnte sie nur noch unter Schmerzen gehen. Die Hausarbeit hatte sie auf ein Minimum reduziert, sodass weder die Wäsche gewaschen noch das Bad geputzt waren. Auch wenn sie fast nicht mehr konnte, für Shiva rappelte sie sich immer noch auf. Die kleine Pelznase war das Wichtigste in ihrem Leben. Es sollte ihr an nichts fehlen, auch wenn es Mona nicht mehr so gut ging. Die alte Dame war zu schwach geworden. Mona spürte, dass sie Tonis Angebot annehmen und in das Altersheim im Dorf umziehen musste. Es ging nicht mehr, so allein im Haus. Sie rief Toni an und informierte ihn, dass er im Altersheim nachfragen sollte wegen einem Zimmer.

Toni war sehr erleichtert über diesen Anruf. Er hatte geahnt, dass es nicht mehr lange dauern würde, bis Monas Kraft am Ende war. Eigentlich war er froh, dass sie diesen Entschluss selber gefasst hatte. Es wäre für alle Beteiligten sehr schlimm gewesen, wenn man Mona mit Zwang ins Altersheim geschafft hätte.

Auch wenn die Situation für alle extrem schlimm war, eine gute Nachricht konnte er Mona überbringen. Seit einem Jahr war es möglich, ein Haustier ins Altersheim mitzunehmen. Dieses musste allerdings gesund, stubenrein und ruhig sein. Und diese Bedingungen erfüllte Shiva. Es fiel Mona deshalb nur noch halb so schwer, die Koffer zu packen und dem Haus am Waldrand Ade zu sagen. Sie zog mit Shiva in ein Heim um, wo alles altersgerecht eingerichtet war. Sie bezog nicht nur ein Zimmer, sondern eine Alterswohnung mit Wohn-, Schlaf- und Essbereich. Es gab eine hübsche Küche für den kleinen Hunger zwischendurch. Die Hauptmahlzeiten wurden vom Haupthaus geliefert, oder sie hatte die Möglichkeit, mit den anderen Bewohnern im Gemeinschaftsraum zu essen. Von ihrer Wohnung aus sah sie auf Bäume, Wiesen und hinauf zum Waldrand. Der grosse Park, der sich um das Altersheim erstreckte, war geschmückt mit vielen Frühlingsblumen. Fusswege schlängelten sich durch den ganzen Garten. Mehrere Gartenbänke boten den Senioren die Möglichkeit für eine Ruhepause in der Sonne. Die Gärtner hatten sich viel Mühe gegeben, aus der Seniorenresidenz ein Paradies zu machen.
Auch in der Wohnung selber war alles auf die Betagten ausgerichtet. Sie mussten ihre Wohnung selber unterhalten, soweit es ihnen noch möglich war. Die restlichen Arbeiten wurden durch einen Hausdienst erledigt. Die Mitarbeiter reinigten die Wohnung, trugen den Müll runter und gingen auch kleinere Besorgungen im Dorf machen. Man konnte seine Wünsche vorbringen und sie wurden – sofern möglich – erfüllt. Das Leben hier war für die Senioren viel leichter als vorher. Die Wohnungen waren mit vielen Hilfsmitteln versehen. Es gab Haltegriffe im Badezimmer, eine ebenerdige Dusche, keine Schwellen und Treppen, dafür einen Lift und Fernseher. Mona fühlte sich wohl. Mit ihren 89 Jahren war sie für jede Hilfe dankbar.

Entscheidend aber war, dass Shiva bei ihr bleiben durfte. Sie richtete ihrer Kleinen im Wohnzimmer eine Schlafecke ein und bekam von Toni als Willkommensgeschenk einen Kratzbaum geschenkt. Shiva sass stundenlang am Fenster und betrachtete die Umgebung. Wieder hatte sich ihr Leben schlagartig geändert. Sie konnte noch immer raus in die Natur, musste aber jeweils Mona darum bitten, die Tür in den Garten zu öffnen. Doch auch hier wurde Abhilfe geschaffen. Toni brachte eine Katzentüre an, so dass Shiva jederzeit raus konnte. Sie bekam ein Halsband mit Adressanhänger umgelegt, damit jeder sehen konnte, zu wem sie gehörte und dass sie nicht ein Fremdling in dieser Ueberbauung war. Auch das Leben in der Altersresidenz war für das Duo schön, zwar etwas anders als noch oben im Bauernhaus, dafür viel weniger anstrengend.
Trotzdem verschlechterte sich der Gesundheitszustand von Mona dramatisch. An einem nassen Wintermorgen fand man Mona tot im Bett. In ihren Armen lag Shiva. Sie hatte ihr Frauchen in den Tod begleitet und ihr die Arme geleckt, als sie friedlich einschlief. Man informierte Monas Kinder über ihr Ableben und bat sie, für Shiva ein Zuhause zu suchen. Doch das war nicht nötig. Shiva spürte, dass ihr Leben mit Mona zu Ende war und dass sie ihre Reise ins Ungewisse fortsetzen musste. Bevor die Kinder im Altersheim eintrafen, war Shiva weg. Sie wurde dort nie mehr gesehen.
Stattdessen sass sie ein Dorf weiter auf einer Fensterbank und schaute ins Hausinnere, wo eine Familie ihr Nachtessen verzehrte. Das Haus, ein umgebautes Bauernhaus, war sehr modern eingerichtet. Es erinnerte sie an das Bauernhaus, wo sie mit Mona gewohnt hatte. Von aussen hätte man nie gedacht, dass es drinnen so hell und warm war. Hinter dem Haus gab es eine kleine Werkstatt, in dem der Vater seinem Hobby frönte. Dieser Anbau war noch nach altem Stil, noch nicht renoviert, eine richtige Scheune wie Shiva sie kannte. Die Schindeln waren zum Teil locker und Shiva konnte darunter hindurch kriechen. Sie fand auf der Werkbank eine Nische, in der sie es sich gemütlich machen konnte. Sie war traurig, dachte immer wieder an Mona und deren Hände, die sie gestreichelt hatten bis der Tod sie von ihr weggeholt hatte. Mona musste nicht leiden. Sie war einfach eingeschlafen mit einem Lächeln auf dem Gesicht, denn sie spürte Shiva in ihren Armen. Shiva hatte Sehnsucht nach Zärtlichkeit und nach lieben Worten. Nun war sie wieder auf sich allein gestellt.
Am nächsten Morgen bekam sie Besuch. Ein grosser roter Kater stand vor ihr und schaute sie etwas verwundert an. „Hast du mir was zu essen?“ fragte Shiva leise. Er ignorierte sie einfach und ging weg. Sie folgte ihm. Er drückte sich im Haupthaus durch eine Katzentüre, und sie machte es ihm nach. Da stand sie plötzlich mitten in der Küche, wo am Abend zuvor noch die Familie gegessen hatte. Am Boden stand eine Schüssel mit Katzenfutter. Der Kater sprang auf den Tisch und deutete Shiva, sie solle fressen. Das tat sie noch so gerne. Draussen war es nicht nur kalt, sondern unmöglich, Futter zu finden. Der Boden war hart gefroren und die Mäuse hatten sich tief in ihren Höhlen versteckt. Sie war dem Roten dankbar für das Mahl, das er mit ihr teilte. Dann hörte sie, dass die Eingangstüre aufsprang. Die Familie kam nach Hause. Sie entdeckten Shiva und waren über deren Besuch nicht sehr erfreut. Sie deuteten es vollkommen falsch, dass ihr roter Kater auf dem Tisch sass. Sie dachten, er hätte Angst vor der Katzendame, die sich frech über das Futter her machte. „Raus!“ rief die Mutter mit scharfem Ton und jagte Shiva durch die Katzentüre. Dann schloss sie diese ab, sodass niemand mehr rein konnte.

Ihr Kater schaute etwas verwundert, dann sprang er vom Tisch auf den Boden und drücke sich an ihre Beine. Mireille streichelte ihn: „Armer Jimmy, was bist du doch für ein Angsthase. Musst ja nicht jede rein lassen. Du bist hier der Chef, hast das nicht kapiert?“ Sie hatte alles falsch verstanden, aber es war nun halt mal so. „Manchmal verstehen Menschen überhaupt nichts“, dachte sich Jimmy und legte sich schlafen.
Doch Shiva liess nicht locker. Draussen war es nass und kalt und drinnen warm, das hatte sie gespürt. Doch die Katzentüre war geschlossen. Sie sprang wieder auf das Fensterbrett und schaute rein in die warme Stube. Mireille sah schon, dass die Grau-Weisse draussen sass und sie beobachtete. „Nein, du bleibst, wo du bist. Geh nach Hause zu deinem Herrchen.“ Wie konnte sie auch ahnen, dass Shiva niemanden mehr hatte und ganz allein durchkommen musste. Mireille war keine böse Frau, ganz im Gegenteil. Sie liebte die Tiere und dachte einfach, sie müsse ihren etwas ängstlichen Kater vor Fremden beschützen.

Als Shiva jeden Tag pünktlich zur Essenszeit kam und sich bei ihr auf dem Fensterbrett niederliess, fand sie es allmählich eigenartig. Die Katze war doch wohlgenährt, man hätte fast sagen können, dick. Trotzdem schien sie hungrig zu sein. Je länger es dauerte, desto mehr Mitleid bekam sie mit der schönen Katze. Als Shiva am nächsten Tag kam, fand sie vor der Haustüre ein kleines Schüsselchen vor mit Katzenfutter. Sie verschlang es sofort und legte sich dann auf die Bank, die unter dem Vordach vor dem Hauseingang stand. Eine Stunde später hörte sie, wie Mireille nach raus kam. Sie nahm das Schüsselchen und schaute sich um. Shiva lag zusammengerollt auf der Bank. „Oh, das ist aber hart und ungemütlich, kleine Dame.“ Sie brachte eine dicke Decke und legte diese auf die Bank. Nun hatte Shiva etwas Wärme von unten und einen weichen Schlafplatz.
Am nächsten Morgen ging das Spiel weiter. Aus der Decke wurde ein kleines Haus mit Dach, danach ein kleiner Kratzbaum. Und jeden Tag stand ein Schüsselchen vor der Türe. Nur rein durfte sie nicht, das verstand Shiva überhaupt nicht. Es wäre doch viel einfacher gewesen, als draussen ein Haus unter dem Haus zu bauen.

Mireille war mit einer jungen Dame befreundet, die bei einem Tierarzt arbeitete. Bei ihr hatte sie sich erkundigt, was sie unternehmen sollte. Sie hatte ihr erklärt, dass da regelmässig eine Katze auftauchte, die zwar wohlgenährt aber hungrig sei. Die Antwort, die sie erhielt, war eindeutig: „nicht füttern, nicht reinlassen. Die Katze hat bestimmt einen Besitzer, zu dem sie zurückkehren sollte. Wenn man sie anfüttert, geht sie nicht mehr nach Hause.“ „Naja“, dachte sich Mireille „so richtig rein lasse ich sie ja nicht und so richtig füttern tue ich sie auch nicht. Aber ich habe trotzdem Mitleid mit dem Tier, das sich da draussen noch eine Erkältung holt.“
Als Shiva nach vierzehn Tagen noch immer da war, nahm sie nochmals Kontakt mit ihrer Kollegin auf. Diese war etwas erstaunt, dass die Katze noch immer da war, obwohl man sie weder fütterte noch einen Liegeplatz anbot. „Mach mal ein Foto“, erklärte sie ihrer Freundin und schick mir das übers Handy. Als Shiva am Abend wieder auftauchte, knipste sie ein Bild und leitete es ihrer Freundin weiter. Es dauerte nicht lange, da kam die verrückteste Antwort, die sie je gehört hatte. „Ich glaube, ich kenne diese Katze. Wenn das stimmt, was ich vermute, handelt es sich um eine Katze von Tina. Sie hat früher bei uns gewohnt und kam mit ihren Katzen zu uns in Behandlung. Nach ihrem Umzug sind ein paar ihrer Tiere verschwunden, darunter Shiva. Vom Bild her könnte es sich um sie handeln, doch war sie damals viel schlanker. Es ist auf Grund des Bildes etwas schwierig zu beurteilen, ob es sich um den Ausbrecher handelt oder nicht. Sollte es sich tatsächlich um Shiva handeln, dann wäre sie gechipt und seit drei Jahren unterwegs. Ich werde mir morgen im Geschäft die Telefonnummer von Tina rausschreiben, das Chiplesegerät mitnehmen und zu dir kommen. Dann werden wir ja sehen, ob meine Vermutung stimmt.“ Mireille stockte der Atem. Drei Jahre unterwegs? Das gab es ja nicht. Bei ihr war sie jedenfalls erst seit drei Wochen.
Sie konnte die Ankunft ihrer Kollegin am nächsten Tag kaum abwarten. Es war ein kühler Sonntagnachmittag, als sie das Chiplesegerät anlegten und dieses ein Geräusch von sich gab. Es erschien eine Nummer, Die Chipnummer von Shiva hatte sich die Freundin vorher in der Praxis notiert. Die Nummern waren identisch. Vor ihnen stand – nach drei Jahren – Shiva. Nun waren alle platt. Noch nie hatten sie davon gehört, dass ein Tier nach drei Jahren unversehrt aufgetaucht war. Sie wollten Tina umgehend informieren.
Tina war gerade auf der Autobahn, unterwegs zu ihrer Mutter wie jeden Sonntag, als das Handy läutete. Sie schaute nur schnell auf das Display und sah eine Nummer aus ihrer Region, die sie zwar nicht kannte, die aber von den Zahlen her aus ihrem Wohnort oder der näheren Umgebung stammte. Beim nächsten Rastplatz hielt sie an und rief zurück. Sie hatte immer ein sehr mulmiges Gefühl, wenn sie eine unbekannte Nummer aus der Region auf dem Display sah. Ihre Katzen trugen zum Teil Halsbänder mit Adressanhänger, wo ihre Telefonnummer drauf stand. Hatte wohl eine einen Unfall gehabt? Es war ihr schwer ums Herz, als sie die Zahlen eintippte. Es meldete sich eine Frau, die sie nicht kannte, die den Anruf aber gleich weitergab an eine Stimme, die ihr wohlbekannt war. Es meldete sich die Tierarzthelferin, die sie noch vom alten Wohnort kannte. Sie konnte echt nicht glauben, was sie da erfuhr. Shiva war nach drei Jahren aufgetaucht, gesund und wohlgenährt. Sie war einfach nur sprachlos. Sie vereinbarte einen Termin am Abend, denn Shiva war im Moment nicht mehr vor Ort. Sie war unterwegs ihr Revier zu kontrollieren. Mireille wusste aber, dass sie immer zur Essenszeit am Abend auftauchte.

Tina fuhr zu ihrer Mutter und erzählte ihr, was ihr eben passiert war. Sie war den ganzen Nachmittag in Gedanken versunken bei Shiva. Was war da passiert? Shiva hatte in den letzten Jahren nur gerade mal neun Kilometer zurückgelegt. Da sie ja erst seit drei Wochen bei Mireille war, musste sie vorgängig irgendwo untergekommen sein.

Am Abend fuhr sie zum Haus von Mireille. Als sie dort eintraf, lief eine kugelrunde Katze an ihrem Auto vorbei. Sie verschwand in einem der Gebäude. Da es dort recht dunkel war, konnte sie nicht erkennen, ob es sich um Shiva oder um sonst eine Katze handelte.

Mireille begrüsste sie sehr freundlich. Sie erklärte Tina, dass Shiva kommen würde, wenn sie das Futter hinstellte. Und so war es auch. Es dauerte nicht lange, da stand Shiva da, etwas abseits und mit fragendem Blick. Sie schaute Tina verwundert an. In ihrem Kopf liess sie die Vergangenheit passieren. Irgendwie kam ihr diese Frau bekannt vor. Als Tina den Namen „Shiva“ rief, kamen die Erinnerungen hoch. Sie kannte diese Stimme von früher und wusste plötzlich, dass man sie früher so gerufen hatte. Tina hob sie hoch und streichelte sie. Noch immer war sie recht zutraulich. Doch sie roch an Tinas Mantel fremden Katzengeruch, weshalb sie sofort wieder runter sprang. Shiva war rund und schwer geworden, schien aber vollkommen gesund zu sein.

In diesem Moment ging Tina so viel durch den Kopf. Was müsste sie nun alles tun? Zuerst müsste sie Aramis aus seinem Zimmer werfen und das Katzenzimmer für Shiva herrichten. Die erste Zeit dürfte sie nun nicht mehr raus, so lange bis sie sich wieder eingewöhnt hatte. Dann müsste sie sie sofort zum Tierarzt bringen. Sie war seit drei Jahren nicht mehr geimpft.

Dann kam ihr auch noch in den Sinn, dass sie daheim bis vor kurzer Zeit die beiden kranken Kater hatte, bei denen nicht feststand, was für eine Krankheit sie hatten. Sie musste zuerst alles putzen und desinfizieren, damit sie auf keinen Fall angesteckt würde. Wie könnte sie dafür sorgen, dass Shiva nicht bei der ersten Gelegenheit wieder abhauen würde? In Tinas Kopf rauchte es.

Sie ging mit Mireille ins Haus, und sie sprachen noch sehr lange miteinander. Sie lernte auch den Hausherrn und den Sohn kennen, die später eintrafen. Es war ein interessantes und wichtiges Gespräch. Tina erfuhr, wie Shiva den Weg zu ihnen gefunden und sich langsam in ihr Herz geschlichen hatte. Sie liessen sie allerdings noch immer nicht ins Haus rein, hatten fast alles so brav gemacht, wie es die Freundin vorgegeben hatte. Natürlich hatten sie etwas geflunkert. Sie konnten doch nicht tatenlos zusehen, wie die Katze hungerte und fror. Tina sah das notdürftige Lager, das man Shiva errichtet hatte.
Nach einer Stunde wollte sich Tina verabschieden. Sie hatte weder Transportkorb noch sonst eine Schachtel dabei, in die sie Shiva hätte setzen können. Das alles kam so unerwartet. Tina war nicht darauf vorbereitet.

Sie standen vor der Haustüre und berieten, wie sie das nun am besten anstellen sollten, als Mireille plötzlich ganz ruhig wurde. Sie schaute Tina mit traurigem Blick an. „Eigentlich hätten wir Shiva gerne behalten. Sie ist uns schon sehr ans Herz gewachsen.“ Damit hatte Tina nun wirklich nicht gerechnet. Sie war wie vor den Kopf gestossen. Sie hatte ihre Kleine nach drei Jahren wiedergefunden und sollte sie jetzt – nur eine Stunde später – wieder hergeben? Es schwirrte in ihrem Kopf. Das Herz kämpfte gegen den Verstand. Was sollte sie tun? Sie hatte sich so gefreut, dass sie Shiva wieder hatte, diese schöne Katze mit ihrem auffallend gezeichneten Fell. Sie hatte sie als ein paar Wochen altes Baby übernommen und aufgezogen. Von Anfang an lag Shiva nachts neben ihr im Bett. Tina war für sie wie eine Ersatzmutter. Sie liebten sich sehr und Tina war stolz auf die wunderschöne Katze mit ihren stämmigen Beinen und dem lustigen Wesen. Sie hatten zusammen lange Spaziergänge durch den Park gemacht. Shiva trottete hinter Tina her wie ein Hund. Sie hatte ihr Frauchen oft zum Lachen gebracht. Tina erinnerte sich an den Herbstnachmittag, wo sie sich im Sandkasten eingegraben hatte und nur noch der Kopf aus dem Sand herausragte. Shiva vertrug sich mit ihren Geschwistern blendend. Auf den Spaziergängen spielten sie zusammen mit den Blättern, die der Herbstwind auf den Boden blies. Lange war das her, doch jetzt durchlebte Tina alles nochmals. Ihr Kopf schien zu platzen. Sie musste eine Entscheidung treffen. Doch welche war richtig?

Nach Shivas Verschwinden hatte Tina fürchterlich gelitten. Gerade Shiva, die sie von klein auf hatte und mit der sie eine so schöne Zeit erlebt hatte, hatte ihr den Rücken gekehrt und war weggegangen. Sie hatte sie so vermisst. Oft hatte sie sich Vorwürfe gemacht. Ob sie wohl etwas falsch gemacht hatte? Hätte sie Shiva damals beim Nachbarn lassen sollen, bei dem sie fast jeden Tag war? War der Umzug eine egoistische Entscheidung? Und jetzt, wo alle Sorgen und Aengste vorbei waren, sollte sie sie hergeben? Die Familie von Mireille hatte das getan, was Pflicht eines jeden Finders ist. Sie hatte sich darum gekümmert, den Besitzer ausfindig zu machen. Hätten sie sich nicht gemeldet, hätte Tina nie erfahren, dass es Shiva noch gibt.

Bis heute weiss Tina nicht, was in ihr vorging, als sie sagte: „Ich lasse Shiva hier unter der Bedingung, dass sie ein normales Katzenleben führen darf. Sie muss die Möglichkeit haben, rein und raus zu gehen. Ich will nicht, dass sie wie eine Wildkatze leben muss. Sie soll eine normale Hauskatze sein, die man liebt und umsorgt.“ So, nun war es gesagt. Tina wurde es fast schlecht, als sie sich selber reden hörte. Waren das wirklich ihre Worte? Hatte sie das wirklich gesagt? Hatte da eine Fremde gesprochen? Doch nun war es raus und Tina musste ihr Versprechen einhalten.

Sie verabschiedete sich von Shiva, Mireille und ihrer Familie und trat den Heimweg an. Unterwegs musste sie kurz anhalten. Die Tränen liefen ihr die Wangen runter. Sie weinte bitterlich. Was hatte sie heute doch alles erlebt, erst die freudige Nachricht, dann die Begegnung mit Shiva und nun schon wieder ein Abschied. Sie hatte Shiva noch ein zweites Mal verloren. Ihr Herz hatte eine Narbe mehr.
Doch es war ihre eigene Entscheidung, auch wenn sie hart war. Sie liess Mireille ein paar Tage Zeit, um sich an die neue Situation zu gewöhnen. Sie schickte Mireilles Familie Fotos von Shiva, als diese noch ein Baby war. Nach einiger Zeit erkundigte sie sich nach dem Befinden von Shiva. Die erste Rückmeldung tönte sehr gut und war für Tina äusserst beruhigend.

„Zuerst einmal danke vielmals für die wunderschönen Fotos. Sie sah wirklich sooo süss aus als Baby, nein sie sieht ja immer noch schön aus. Wir werden schauen, dass sie etwa ein Kilo abnehmen kann.

Die erste Nacht ist sehr gut gegangen mit den beiden Katzen. Sie hat bei meinem Sohn im Bett geschlafen und Jimmy auf dem Katzenbaum. Vielen Dank, dass wir Shiva behalten dürfen. Momentan sitzt sie gerade neben mir und schaut zu wie ich Ihnen schreibe. Soooo süss.“
Auch die zweite Nachricht freute Tina sehr.

„Shiva hat sich sehr gut bei uns eingelebt, sie war ja auch nicht kompliziert. Jimmy fauchte immer bis wir ihr einen eigenen Fressnapf, Katzenklo und ein Körbchen gekauft haben, jetzt ist Jimmy zufrieden und Shiva fühlt sich sehr wohl. Ein Halsband mit unserer Adresse haben wir ihr auch noch umgebunden, damit die Leute in der Nachbarschaft wissen, dass sie ein Zuhause hat und damit sie ihr nichts zu essen geben.
Gestern waren wir noch beim Tierarzt. Entwurmt wurde sie jetzt schon. Wir haben auch noch wegen einer Diät gefragt und spezielles Trockenfutter bekommen. Nun hoffen wir dass sie zirka ein Kilo abnehmen kann, dann fühlt sie sich sicher auch fitter. Wir haben noch einen Termin für nächsten Samstag abgemacht, wir möchten sie gerne impfen.
Vielen herzlichen Dank und bis auf bald, Mireille.

Tina und Mireille blieben in Kontakt. Nach einiger Zeit kam auch prompt die nächste freudige Nachricht:

"Shiva haben wir tatsächlich umgetauft. Sie heisst nun Jlo, wie Jennifer Lopez, da sie auch so ein rundes Gesäss hat und auch einen so schönen Hüftschwung. Ihr geht es super gut, sie hat sich von Anfang an sehr gut eingelebt und Jimmy unser ander Kater hat sich auch wunderbar an Jlo gewöhnt. Sie haben sich auch noch nie etwas angetan. Jlo ist sehr zutraulich möchte am liebsten den ganzen Tag gestreichelt werden. Sie schläft auch immer bei irgendjemand im Bett. Sie springt auch nie auf die Küchenkombination hinauf auch wenn Fleisch drauf ist. Ich nehme an, dass sie das bei Ihnen nicht durfte, sie haben sie extrem gut erzogen. Das wollte ich Ihnen eigentlich schon lange einmal sagen.

Abgenommen hat sie leider noch nicht viel, obwohl wir sie 3/4 Jahr auf Diät gesetzt haben (extra Diätfutter gekauft), Sie springt auch sehr viel herum und klettert auf Bäume, aber abnehmen tut sie leider nicht. Ich denke aber, sie fühlt sich mit ihren 6 Kilos pudelwohl. Ich schicke ihnen noch ein paar Fotos von ihr, werde es aber via SMS schicken , da ich nur mit meinem Natel Jlo fotografiert habe.

Meine Grossmutter kommt Ende September auf Besuch und nachher haben wir Ferien. Danach dürfen Sie gerne einmal vorbei kommen.

Ah noch was, Jlo bringt regelmässig Mäuse oder Vögel nach Hause. Ist ja ein gutes Zeichen."
Tina hatte richtig gehandelt, das wurde ihr nun bewusst. Auch hier war ihr das Wohl des Tieres wichtiger als ihre eigenen Gefühle. Natürlich hätte sie sich gefreut, wenn Shiva wieder bei ihr eingezogen wäre, aber so war es auch gut. Sie wusste nun, dass es der Schönen gut ging und dass man sie liebte. Noch heute denkt Tina gerne an Shiva zurück. Vielleicht wird sie ihr eines Tages wieder einen Besuch abstatten.
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