Emsy in Not - Luskas Bücher

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Emsy in Not

Buch 3
Es war ein kühler Sommermorgen und Emsy kam wie gewohnt zur Arbeit. Seine Freundinnen erwarteten ihn bereits und boten ihm leckeres Futter an. Nach einer kurzen Ruhepause, machte er sich auf und davon ins Revier. Seit ein paar Wochen hatte er nämlich eine neue Freundin, und die wartete bereits ungeduldig auf ihn. Sein Herz machte Freudensprünge beim Gedanken an seine schöne Langhaarige. Sie wohnte nicht weit weg, allerdings auf der gegenüberliegenden Strassenseite.

Er verbrachte den ganzen Morgen bei ihr. Zusammen gingen sie auf Mäusejagd im grossen Feld neben der Spedition. Als sie satt und müde war, verabschiedete sie sich. Sie wollte etwas ausruhen und sich in ihre Schlafecke bei der Einstellhalle zurückziehen. Emsy küsste sie auf die Nase und machte sich auf den Heimweg zum Paketdienst. Noch war er in Gedanken versunken. Seine Hormone spielten verrückt, seitdem er ihr begegnet war. Er war verliebt und konnte an nichts Anderes mehr denken als an seine Geliebte. Sie ging ihm nicht aus dem Kopf. Auch als sie bereits hinter der Hausecke verschwunden war, sah er sie noch vor sich. Sie hatte langes Haar und war sehr dunkel getigert. Ihr Kopf wurde durch ein weisses Dreieck verziert. Die Haare am Bauch und an den Vorderfüssen waren schneeweiss. Manchmal schämte er sich, wenn er mit seinen dreckigen Pfoten neben ihr sass. Sie putzte sich ununterbrochen und ihr Weiss war makellos. Ihr Fell glänzte, als ob sie frisch gebadet wäre. Dagegen sah er aus wie ein ungepflegter Streuner. Trotzdem liebte sie ihn. Als er ihr das erste Mal begegnet war, war sie halb verhungert. Sie hatte vermutlich schon seit Monaten nichts Richtiges mehr zwischen die Zähne bekommen. Zwar war sie eine ganz raffinierte Jägerin, doch so viele Mäuse gab es hier auch wieder nicht, dass eine Katze in ihrer Grösse satt geworden wäre. Emsy half ihr oft beim Mäusefang, genauso wie er damals Chiara geholfen hatte. Wenn er ein Graupelzchen gefangen hatte, übergab er es seiner Geliebten, die ihm einen dankenden Blick aus ihren grossen Augen schenkte. Sie drückte ihr Köpfchen fest an Emsys Achsel als wolle sie ihm so danken. Als sich ihre Liebe gefestigt hatte, nahm Emsy seine Freundin mit zum Büro, wo er tagsüber wohnte. Sie hatte furchtbare Angst, irgendwelchen Menschen zu begegnen, doch Emsy konnte sie beruhigen. Tagsüber blieb sie in ihrem Versteck und am Abend, wenn auch die letzten Mitarbeiter Feierabend machten und das Tor geschlossen wurde, holte er sie zu sich. Hier gab es Futter im Ueberfluss. Seine Freundinnen stellten ihrem Streuner jeden Abend eine grosse Menge Trockenfutter vor die Türe. Erst wusste sie gar nicht, was das für wohlriechende Stückchen waren, die hier lagen. Sie kannte nur Mäuse und ab und zu mal etwas Dosenfutter. Getrocknete Nahrung war ihr neu. Aber Emsy erklärte ihr den Trick mit dem Futterspender. Nun konnte sie sich satt essen, während er daneben sass und ihr zuschaute. In den letzten Wochen hatte sie sich etwas erholt, da sie regelmässig Nahrung bekam. Der Futterspender beim Paketdienst reichte für sie beide. Ihr Fell glänzte nun noch mehr und hing nicht mehr schlaff über ihren abgemagerten Körper. Sie wurde von Tag zu Tag schöner und Emsys Liebe wuchs. Er war im siebten Himmel.

Er wollte sie am späten Nachmittag wieder treffen, wenn sie ausgeruht war. Darauf freute sich schon sehr und beschloss, bis dahin auch etwas zu schlafen.Er sah das Auto nicht, das auf ihn zubrauste. Zu sehr war er in Gedanken bei seiner Freundin. Er spürte nur einen harten Schlag und Räder, die ihn einige Meter mitschleppten. Grauenhafte Schmerzen durchzogen sofort seinen Körper und alte Erinnerungen wurden wach. Es war schon einmal passiert, genau an der gleichen Stelle. Damals brauchte er drei Tage, um sich schwerverletzt zum Paketdienst zu schleppen. Fast wäre er gestorben. Das durfte nicht wahr sein, er war schon wieder angefahren worden.

Das linke hintere Bein hing lose an ihm herunter. Er konnte nicht draufstehen, hatte überhaupt keine Gewalt mehr darüber. Aus dem rechten Hinterlauf lief eine Unmenge Blut. Er leckte es auf. Mühsam schleppte er sich vorwärts. Er musste den Hang hinunter, sich bemerkbar machen. Er brauchte dringend Hilfe. Dann nahm er allen Mut zusammen, versuchte die Schmerzen zu unterdrücken. Er stand auf, so gut es ging, und schleppte sich vorwärts. Nach einer Stunde hatte er das kleine Strässchen vor dem Paketdienst erreicht. Er war erschöpft und spürte seinen geschundenen Körper kaum mehr. Mit letzter Kraft zog er sich die drei Stufen hoch zum Eingang. Dann fiel er hin, halb tot vor Erschöpfung und Schmerzen.

Gott sei Dank hatte man ihn gesehen, wie er langsam die Zufahrtsstrasse überquert hatte. Noch hatten sie nicht entdeckt, dass es Emsy nicht gut ging, denn sein langsamer Gang war für sie noch nicht beunruhigend. Als er aber nicht wie erwartet um die Ecke ins Büro bog, sprang jemand auf. Es musste etwas passiert sein. Erst jetzt war ihnen bewusst geworden, dass Emsys Gang nichts mit Faulheit zu tun hatte, sondern dass der Kater Hilfe brauchte. Als sie Emsy fanden, lag dieser bereits in einer grossen Blutlache.

Nun ging alles blitzschnell. Tina wurde informiert und Emsy zum Arzt gebracht. Die erste Diagnose war niederschmetternd. Emsy hatte noch schlimmere Verletzungen als bei seinem Unfall vor drei Jahren. Das linke Bein war aus der Halterung gesprungen, der Oberschenkelhals glatt durchgebrochen. Sein linker Hinterlauf wies eine grosse Anzahl Wunden auf. Die Haut war zerfetzt, genauso wie die Sehnen und Muskeln. Im offenen Bein befanden sich Spuren von Teer und Schmutz.

Emsy wurde ins Tierspital überwiesen, dorthin wo er schon vor drei Jahren operiert worden war. Noch am gleichen Tag wurde seine Hüfte operiert, doch mit dem Bein musste man noch zuwarten bis sich erste Heilungserfolge eingestellt hatten. Der arme Streuner musste noch lange dort bleiben. Er sass zwar brav in seinem Krankenbett und liess alles über sich ergehen, doch in Gedanken war er bei ihr. Was würde sie ohne ihn machen? Wie konnte er ihr mitteilen, dass es ihn noch gab und dass er auf sie warten würde? Die anderen wussten doch gar nichts von ihr.

Natürlich wussten Tina und die Anderen von Emsys Freundin. Jemand hatte ihn mit seiner neuen Liebe gesehen. Auch hatten sie bemerkt, dass die doppelte Menge Futter gefressen wurde. Emsy musste also keine Angst haben, man würde für sie sorgen. Tatsächlich kam sie noch am gleichen Abend vorbei. Sie wunderte sich zwar noch, dass Emsy nicht hier war, doch kannte sie ihren Streuner schon recht gut. Vielleicht war er irgendwo unterwegs auf der Suche nach einem neuen Abenteuer. Wichtig war, dass der Futternapf gefüllt war. Sie verschlang ihre Portion und legte sich vor Emsys Haus. Wer weiss, vielleicht würde er bald wiederkommen.

Doch Emsy kam diese Nacht nicht mehr. Auch in den folgenden Nächten blieb sein Haus leer. Stattdessen kam eine Frau vorbei, die ihr Futter brachte. Es war Tina, die sich über das Wochenende um die Katzendame kümmern wollte. Sie entdeckte die Schönheit, als diese ein Feld überquerte. Noch hatte sie keinen Namen und Tina rief ihr alle Namen nach, die ihr in den Sinn kamen. Weder "Amiga", "Amore", "Minusch", "Tigrette" oder sonst ein Name schien zu passen. Sie betrachtete das Tier genau. Sie war ihrer Wulli sehr ähnlich. Hätte sie keine hellen Vorderfüsse gehabt, wären sie sich zum Verwechseln ähnlich. Auffallend war ihr dichter Schwanz. Die wulligen Haare waren buschig und lang. Sie legten sich wie schützende Wolle um den Schwanz der sonst zierlichen Katze. "Wulli 2" sollte sie heissen, genau so wie ihre Doppelgängerin Wullli 1. Tina rief leise den Namen Wulli. "Miau", tönte es aus dem Gebüsch hervor. Emsys Freundin hatte geantwortet und ihren neuen Namen angenommen.

Tina stellte das Futter hin und ging einen Schritt zurück. Wulli war zu scheu, als dass sie hätte näher kommen können. Sie antwortete zwar auf Tinas Rufen und schaute die Frau mit Neugier an, doch blieb sie in schützender Entfernung. Als Tina auf sie zuging, rannte sie davon. Sie drehte sich noch einmal um, doch ihre Vorsicht war zu gross. Sie liess sich noch nicht anfassen oder aus der Nähe betrachten. Tina wusste, dass ein wildes oder verwildertes Tier sehr lange braucht bis es zum Menschen wieder Vertrauen gefasst hat. Also liess sie die Katzendame vorerst einmal in Ruhe. Stattdessen ging sie jeden Tag ins Tierspital, um Emsy einen Besuch abzustatten. Er war ja wirklich ein armer Teufel, wie er da lag mit seinem Verband und den Schläuchen. Sie wusste, dass sie keine Wahl hatte, dass er nur hier die Pflege bekommt, die er braucht. Noch so gern hätte sie den Kater nach Hause mitgenommen, doch dafür war es noch viel zu früh. Emsy musste drei Wochen im Spital bleiben, bekam jeden Tag neue Verbände. Es passte ihm überhaupt nicht, denn diese fremden Stimmen und Hände mochte er nicht. Jedes Mal wenn sie ihn aufnahmen, drückten sie an ihm herum. Sie gaben ihm zahlreiche Spritzen und bei jedem Verbandswechsel wurde er narkotisiert. Er fand das alle schrecklich. Zudem war es furchtbar langweilig in dieser Klinik. Er musste den ganzen Tag in seinem Käfig bleiben. Meistens schlief er ja, denn die Medikamente machten ihn müde.

Nach vier Tagen wurde auch das Bett neben ihm belegt. Ein riesengrosser, grauer Kater wurde eingeliefert. Auch er hatte eine unsanfte Begegnung mit einem Auto gehabt. Immerhin konnten sie nun miteinander reden. Der Graue war aber ein komischer Kauz. So was Gefrässiges hatte Emsy noch nie gesehen. Wenn die Mitarbeiter das Fressen brachten, stürzte sich der Graue auf den Napf, als wolle er diesen gleich noch mitfressen. Das war bei Emsy ganz anders. In den ersten Tagen verweigerte er jegliches Futter. Nebst den Schmerzen in der Hüfte und dem Bein, hatte Emsy auch Schmerzen in der Brust. Es war der Liebeskummer, der ihm zu schaffen machte. Er wusste genau, dass ihn seine Wulli suchen würde. Hoffentlich bleibt sie in der Nähe und läuft nicht weg. Nun war er aber froh, dass er ihr den Futterspender gezeigt hatte. Immerhin musste sie nicht hungern.

Die meiste Zeit lag er da und schlief. Dann träumte er von saftigem Gras und einer schönen Katzendame. Wenn Tina, Dana oder Tanja auf Besuch kamen, war er glücklich. Dann durfte er schnurren so viel er wollte. Er war ihnen dankbar, dass sie ihn ein Mal pro Tag besuchen kamen, sonst hätte er das nicht überstehen können.

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