Strolchi - Luskas Bücher

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Strolchi

Buch 1
Strolchi

Nebst Schnurrli war auch Strolchi bei den Nachbarn eingezogen. Auch er war ein junger hübscher Tigerkater. Im Vergleich zu Schnurrli war er viel scheuer. Er getraute sich nicht zu Tina und ihrer Katzenfamilie. Er betrachtete das rege Treiben lieber aus der sicheren Entfernung. Dennoch wusste er, wo Schnurrli sich jeden Abend umhertrieb. Er sah, dass sein Bruder wohl eine neue Freundin hatte.

Oft blieb er zu Hause, vor allem dann, wenn es dort ruhig und warm war. Er mochte es nicht, wenn Gäste ins Haus kamen. Dann verzog er sich immer an einen Ort, wo man ihn nicht fand. Er hatte Angst vor den vielen Händen, die ihn berühren wollten. Er hatte dafür keine Erklärung, denn im Prinzip hatte er keine schlechten Erfahrungen mit den Menschen gemacht.

So wurde Strolchi zum Einzelgänger. An lauen Sommerabenden ging er nach draussen und legte sich in den Garten unter die Gebüsche. Unweit von seiner Wohnung gab es eine vielbefahrene Strasse, die er meiden musste. Er hörte die Motoren, die ihm Angst einflössten.

Er kannte die Igelfutterstelle in Tinas Garten und ging ab und zu dorthin, wenn es niemand sah. Von seinem Bruder Schnurrli hatte er erfahren, dass es dort so eigenartige Tiere gab, die voller Stacheln waren. Dort traf er ab und zu einen der sieben Igel und schaute diesem verwundert zu, wie er sich den Bauch vollschlug. Es wurde Herbst und allmählich verzogen sich Tinas Igel in die Winterstätte. Nur noch das Nesthäkchen mit kaum 450 Gramm kam abends an die Futterstelle. Tina wusste, dass die Igel mindestens ein Pfund auf die Waage bringen mussten, um den Winterschlaf zu überleben. Deshalb war sie ganz froh, dass der kleine Kerl sich noch intensiv bemühte, Winterspeck anzufressen. Sie stellte ihm besonders leckere Happen hin. Dann kam der erste Schnee und Tina wunderte sich, dass das Futter am Morgen jeweils verschwunden war. Sie wusste, dass sicher auch der kleinste Igel nun im Winterrevier war. Sie hatte keine Erklärung dafür. Allmählich löste sie die Futterstelle auf, denn sie war überzeugt, dass nun alle Igel im winterlichen Bau waren.

Es ging auf Weihnachten zu und die Nächte wurden kalt. Tina hasste die Kälte und ging nur noch ungern nach draussen. Die Temperaturanzeige sank unter die Nullgrenze. Auch Tinas Katzen wurden faul. Sie gingen nur noch in die Kälte, wenn es keine andere Lösung gab. Das Katzenklo drinnen wurde wieder benutzt, so konnte man sich den Weg in die Kälte ersparen.

Und trotzdem wurde Tina in der Nacht ab und zu wach durch das Klick-Klack der Katzentüre. Sie hatte dafür keine Erklärung, waren ihre Stubentiger alle damit beschäftigt, die kalte Nacht im warmen Büro zu überschlafen. Sie beschloss, beim nächsten Mal leise aufzustehen und nachzuschauen, wer sie mitten in der Nacht besuchte. Sie musste versuchen, lautlos zu sein, denn der Besucher verzog sich, sobald er nur das geringste Geräusch hörte.

Es dauerte einige Tage, bis Tina den Eindringling entdeckte. Da stand eine Katze in der Küche und machte sich über die Futternäpfe her. Tina kannte das Tier nicht und fragte deshalb in der Nachbarschaft nach, wem das scheue Kätzchen wohl gehöre.  Sie erfuhr, dass Schnurrlis Bruder seit über einem Monat verschwunden war. Er war von einem nächtlichen Ausgang nicht mehr nach Hause zurückgekehrt. Und die Beschreibung der vermissten Katze passte genau auf das scheue Tier, das sie nachts besuchte. Sie vereinbarte mit Schnurrlis Katzenmutter, dass Tina das Tier einfangen werde. Da die Katze allerdings erst nach Mitternacht hereinkam, würde dies eine Nachtaktion werden.

So stellte Tina eines Nachts die Katzentüre so, dass das Tier in die Küche rein, jedoch nicht mehr zur Türe rauskonnte. Gegen zwei Uhr in der Früh hatte sie Erfolg. Die Katze hatte gefressen und wollte raus, was natürlich nicht möglich war. Sie bekam Panik und rannte quer durch die Küche. Tina war aufgestanden und versuchte, das arme Tier zu beruhigen. Es war aussichtslos. Die in Panik geratene Katze rannte fauchend davon und versteckte sich unter Tinas Bett. Dort war es dunkel, sodass Tina eine Taschenlampe nehmen musste, um überhaupt herauszufinden, ob es sich beim eingefangenen Tier um Schnurrlis Bruder handelte. Der Lichtstrahl traf die Katze, deren Augen riesengross, kugelrund und voller Angst waren. Tina sprach beruhigend auf sie ein und betrachtete sie im Schein der Lampe.

Es handelte sich um eine schmutzige, verwahrloste Tigerkatze. Eine Gesichtshälfte war aufgeschwollen. Der linke Mundwinkel hing nach unten. Quer über dem Hals fehlte das Fell. An seiner Stelle klaffte eine lange Wunde vom Kinn bis Mitte Brust. Die Katze schien Schmerzen zu haben und röchelte vor sich hin. Aus ihrer Nase lief der Rotz, den sie kaum aufhalten konnte.

Tina war entsetzt, als sie das verletzte Tier sah. Sie rief, wie abgemacht, die Besitzerin an, die mitten in der Nacht vorbeikam. Tina wollte sicher sein, dass es sich hier um die vermisste Katze handelte und sie nicht versehentlich eine wilde Katze einfing.

Doch auch die Besitzerin war sich beim Anblick der Tigerkatze nicht mehr sicher, ob es sich um den Ausreisser handelte. Die Wunden entstellten den kleinen Kerl so, dass er kaum wiederzuerkennen war. Dennoch waren sich beide Frauen sicher, dass diese Katze in ärztliche Obhut gehörte. Sie versuchten eine Stunde lang, die Katze einzufangen. Erst mit einem Badetuch, das man über das Tier warf, konnte man das fauchende Bündel überlisten. Sie brachten es in einem Tragkorb in sein richtiges Zuhause und am kommenden Tag zum Tierarzt. Dieser stellte fest, dass Strolchi, so hiess der Kater, vermutlich einen Autounfall hinter sich hatte, denn die eine Gesichtshälfte war schwer betroffen. Die Wunde am Hals war schon halbwegs verheilt. Strolchi bekam Medikamente und wurde zur Erholung nach Hause geschickt.

Doch Strolchi fühlte sich in seinem alten/neuen Zuhause nicht mehr wohl. Er weigerte sich, Tinas Tragkiste zu verlassen. Er hatte furchtbare Angst vor allem, was sich bewegte. Sein Bruder Schnurrli verstand das alles nicht. Dieser realisierte nur, dass Strolchi Angst hatte. Und Strolchi hörte den ganzen Tag die vielbefahrene Strasse, die unweit seiner Wohnung vorbeiging. Immer wieder kamen Erinnerungen in ihm hoch, seine Panik verstärkte sich. Er hielt es nicht mehr aus, musste hier raus.

Nach einer Woche war Strolchi verschwunden. Er hatte allen Mut zusammengenommen und via Katzentüre die Flucht ergriffen. Er ging zurück in den Park, wo er die vergangenen Wochen gewohnt hatte. Dort fühlte er sich wohl, denn dort gab es keine Autos. Die Nächte verbrachte er in der Nähe von Tinas Wohnung. Wenn es sehr kalt war, drückte er sich durch die Katzentüre und legte sich auf Tinas Sofa.

Sowohl Tina als auch Strolchis Katzenmutter mussten einsehen, dass Strolchi nicht mehr an die alte Umgebung zu gewöhnen war. Grundsätzlich war für ihn gesorgt. Bei Tina gab es Futter und ein warmes Plätzchen. Wenn der Frühling käme, wollte Tina versuchen, das Tier wieder zu zähmen.

Im nächsten Sommer wurde die Igelfutterstelle wieder eingerichtet. Strolchi hatte sich in der Zwischenzeit an den Rhythmus gewöhnt und kam regelmässig zur Futterzeit. Dennoch war er unnahbar. Durch die Verwilderung war er gesundheitlich nicht auf dem Damm. Zwar war die Narbe verheilt und die Geschwulst zurückgegangen, doch der Mundwinkel hing noch immer nach unten. Vermutlich wurde hier ein Nerv getroffen, der irreparabel war.

Tina entdeckte Strolchis Vorliebe für Katzenmilch. Sie vermutete, dass Strolchi für diese weisse Flüssigkeit fast alles akzeptieren würde. So begann die Zähmaktion. Man hätte einen Film drehen können über die Szenen, die sich abends auf Tinas Sitzplatz abspielten. Sie lag der Länge nach auf dem Bauch, vor ihrer ausgestreckten Hand stand die Milchschale. Strolchi wagte sich in der ersten Zeit nicht näher als einen Meter. Drehte sich Tina um, schlabberte er die begehrte Milch, schaute sie ihn an, ging er einen Meter zurück. Dazu fauchte er mit weit aufgerissenen Augen. Beide Parteien waren voller Ausdauer und äusserst beharrlich. Das Spiel ging Abend für Abend. Da Strolchi bekanntlich erst gegen Mitternacht erschien, wurde Tina zum Nachtmensch. Sie liess nicht locker, wollte den armen Kerl wieder an den Menschen gewöhnen. Und allmählich verkürzte sich der Abstand zwischen Tinas Hand und Strolchis Kopf. Er war süchtig nach der Milch und liess es eines Tages sogar geschehen, dass sie ihm sanft über den Rücken streicheln konnte.

Nun kannte er ihren Geruch und ihre Hand, vor der er nun wirklich keine Angst zu haben brauchte. Er wusste, dass ihm diese Hand ihre Hilfe anbot, die er wahrlich gebrauchen konnte. Es vergingen einige Wochen, bis Tina Strolchi so weit hatte, dass er wieder auf seinen Namen hörte und das Fressen in der Küche einnahm. Dies tat er zu Beginn nur dann, wenn niemand zu sehen war. Solange im Wohnbereich Licht war, setzte er sich direkt vor die Katzentüre und betrachtete das Treiben durch das Glas. Meistens wartete er so lange vor der Türe, bis Tina ins Bett ging. Wurden die Lichter gelöscht, war das für Strolchi das Zeichen, dass die Luft rein war. Dann hörte Tina das bekannte Klick-Klack und anschliessend schmatzende Geräusche. Sie wusste, dass Strolchi nun in der Wohnung war und einen warmen Platz hatte. Nun konnte sie beruhigt schlafen.

Auf dem gedeckten Gartensitzplatz stand eine alte Seemannstruhe, die Tina extra für Strolchi einrichtete. Durch eine Katzentüre konnte Strolchi ins Innere gelangen, das aus zwei kleinen Räumen bestand. Sie hatten die Grösse eines Katzen-Tragkorbes. Dort lagen Decken und ein Hirtenteppich, auf dem er es sich gemütlich machen konnte. Diese Truhe stand direkt vor dem Eingang zur Küche und konnte von Strolchi so oft benutzt werden, als er es wollte. Doch meist zog er Nachbars Stühle oder Tinas Sofa vor.

So kam es, dass Tina eines Tages die Möglichkeit sah, Strolchi Medikamente zu verabreichen, die er dringend benötigte. Durch seine Sucht nach Katzenmilch konnte sie ihm alle Medikamente in der begehrten Flüssigkeit auflösen. Auf diese Weise erhielt er eine Wurmkur und Pulver gegen die triefende Nase. Tabletten gegen den hartnäckigen Schnupfen drückte sie kurzerhand in grössere Fleischstücke, die er sowieso ungekaut verschlang. Auf diese Weise konnte Tina dem verwilderten Strolchi helfen.

Wer diese Zeit mitverfolgen konnte, musste erkennen, dass Katzen miteinander kommunizieren. Tasja und ihre Katzengeschwister hätten unter normalen Umständen nie eine fremde Katze in die Wohnung gelassen. Sie verteidigten ihr Revier ausserordentlich gut. Bei Strolchi machten sie jedoch eine Ausnahme. Er wurde geduldet. Nein, es war sogar mehr. Ihm bot man den besten Liegeplatz – das Sofa – an. Und sie hatten keine Angst vor ihm, akzeptierten ihn so, wie er eben war. Er war keine Schönheit mit seinem hängenden Mund, dem verkrümmten Schwanzansatz und der immer triefenden Nase. Auch war er kein guter Unterhalter und stets auf dem Absprung. Doch sie waren gastfreundlich zu diesem verletzten Tier und halfen auf ihre Weise mit, dass Strolchi wieder gezähmt werden konnte und das Vertrauen zum Menschen zurückgewann.

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