Armer ungeliebter Zottel
Buch 1
Armer ungeliebter Zottel
In seinem Versteck, einem alten Bunker, fühlte er sich wohl. Hier liess man ihn in Ruhe. Niemand hatte ihn bisher entdeckt. Mit den Menschen hatte er keine guten Erfahrungen gemacht.
Kaum war er geboren, steckte man ihn ins Tierheim, zusammen mit anderen Katzen, die ein neues Zuhause suchten. Er fühlte sich zutiefst gekränkt, dass ihn niemand wollte, dabei war er ein Prachtstier. Sein pechschwarzes Fell glänzte, wenn er es mit seiner rauen Zunge bearbeitet hatte. Es gab am ganzen Körper nicht ein einziges helles Härchen. Er war von oben bis unten schwarz. Seine grossen bernsteinfarbigen Augen bildeten den Kontrast zu seinem dunklen Fell. Er langweilte sich im Tierheim, wollte wieder nach draussen. Er konnte dies alles nicht verstehen.
Da kam eines Tages ein junger Mann, der Zottel und eine schwarz-weisse Katze mitnahm. Sie freuten sich sehr darüber, dass sie nun ein neues Zuhause hatten. Das neue Herrchen wohnte in einer grossen Wohnsiedlung im Hochparterre. Vor dem Fenster gab es einen ganz kleinen erhöhten Garten, von dem man ohne grosse Anstrengung runterspringen konnte. Blackie und Zottel genossen ihre Freiheit. Der Wohnung gegenüber erstreckte sich ein grosses freies Feld. Hier gab es grosse Getreidefelder und eine Futterwiese für die Pferde. Und mitten in dieser grünen Pracht stand ein Bunker, der für Zottel noch eine grosse Bedeutung bekommen würde. Hier konnte er sich vor Regen oder den Menschen verstecken. Sein Besitzer war nämlich nur selten zu Hause. Und ohne ihn konnten die beiden Katzen nicht in die Wohnung. Er musste ihnen nämlich das Fenster öffnen, damit sie reinschlüpfen konnten. Es gab nur zu fressen, wenn sie genau den Zeitpunkt erwischten, in dem er zu Hause war und das Fenster öffnete.
So kam es öfters vor, dass Blackie und Zottel auswärts etwas zu essen suchten. Es gab viele Katzen in diesem Quartier, die zum Teil auch draussen gefüttert wurden. Denen mussten sie sich eben an die Fersen heften, dann bekamen sie schon etwas zu fressen. Doch diese Katzen mochten das gar nicht und verteidigten ihren Fressplatz mit Zähnen und Krallen. Wo Zottel auch hinkam, er wurde gejagt, entweder von den Nachbarskatzen, die dort wohnten, oder von den Haltern, die Zottel nicht mochten. Dabei brauchte er doch etwas zu essen. Er war in der Zwischenzeit ein ausgewachsener Kater von sieben Kilos geworden, ein grosser stämmiger Kerl. Der Hunger plagte ihn von frühmorgens bis spät in die Nacht. Vor dem Fenster seines Halters wollte er auch nicht warten, denn dort gab es eine vielbefahrene Strasse. Mit den Autos hatte er bereits schlechte Erfahrung gemacht und mied sie, wenn immer möglich.
So legte er sich in seinen muffigen Bunker und träumte von saftigem Fleisch und einem warmen Plätzchen. Ab und zu erlegte er eine Feldmaus, die sich zu ihm verirrt hatte oder eine der zahlreichen Spinnen, die an den Bunkerwänden ihre Netze hatten. Wenn er den richtigen Moment erwischte, in dem sein Herrchen nach Hause kam, erhielt er etwas Gutes zu essen. Es war nicht so, dass sein Herrchen ein böser Kerl war, nein, ganz bestimmt nicht. Dieser war sich einfach nicht bewusst, dass Katzen einen regelmässigen Tagesrhythmus brauchten, dass sie regelmässig gefüttert werden wollten. Oft war er nach der Arbeit noch auf einer Party oder im Kino, dann mussten die Katzen draussen warten. Er dachte nicht daran, dass seine Tiere Hunger hatten und auf das Herrchen warteten. Selbst wenn es regnete, konnten sie nicht rein. Wie sie Regen hassten! Es gab keinen gedeckten Sitzplatz und keinen Unterstand, sie mussten draussen ausharren bis ihr Herrchen zu Hause war. Der alte Bunker diente den beiden nun als vorübergehende Bleibe. Es war dort zwar muffig und kalt, doch immer noch besser als draussen im Regen zu sitzen.
Im Frühling des folgenden Jahres wurde Blackie runder. Sie veränderte sich sehr. Sie wollte nicht mehr jagen gehen, das Springen machte sie müde. Meist lag sie stundenlang todmüde im Bunker und wartete auf die Heimkehr des Herrchens. Ab und zu ging sie ein paar Häuser weiter, wo Tina wohnte mit ihren Katzen. Dort gab es meistens etwas Futter, das sie dringend benötigte. Ihr Hunger war enorm. Blackie frass so gierig, dass Tina Angst bekam. Sie sah zwar, dass die Katze trächtig war, doch dass ein Tier eine grosse Futterdose von 400 Gramm auf einmal verschlingen konnte, erstaunte sie sehr. Tina wusste, dass diese Katze bald werfen würde, und hatte Mitleid mit dem vernachlässigten Tier. Sie kannte den Besitzer und wusste auch von der etwas ungeschickten Situation mit dem meist verschlossenen Fenster. Bei Tina gab es einen gedeckten und trockenen Sitzplatz und meistens Futter. Blackie durfte sich auf die gepolsterten Stühle legen und schlafen. Leider gab es auch Tinas eigene Katzen, die ihr Revier verteidigten. Wenn diese nach Hause kamen und Blackie auf ihren Stühlen entdeckten, gab es oftmals Streit ums Futter. Tina war hin- und hergerissen. Sie erkannte, dass Blackie das Futter nötig hatte, wollte aber keinen Streit zwischen ihren Katzen und dem Dauergast. Besonders Luska verteidigte ihr Heim wie eine Verrückte. Sie fauchte und knurrte Blackie bedrohlich an. Wenn Blackie nicht von alleine ging, verteilte Luska Hiebe und griff an. Sie jagte Blackie davon, wollte Tina für sich alleine haben. Blackie war schon so rund, dass sie kaum wegrennen konnte. Sie kletterte mit ihrem runden Bauch die Katzenleiter hinunter und ging davon.
So vergingen die Wochen und Blackie wusste, dass der Tag der Geburt kurz bevorstand. Sie verliess deshalb die Wohnung nicht mehr, denn sie ahnte, dass es in den nächsten Tagen passieren würde. Im Sommer gebar sie drei kleine Kätzchen, denen sie eine gute Mutter sein wollte. Doch dies war gar nicht so einfach. Wenn sie nach draussen ging, um Mäuse für die Kleinen zu fangen, konnte sie nicht mehr rein. Blieb sie drinnen, gab es nichts zu essen. Dann waren ihr Hunger und der Drang nach draussen so gross, dass sie immer schreien musste. Das Herrchen kümmerte sich nicht besonders gut um die jungen Kätzchen, sodass Blackie die grösste Mühe hatte, die Kleinen zu ernähren. Sie ging - wenn immer möglich - zu Tina, wo es Milch und Futter gab.
Sie brauchte dies, denn die säugenden Jungen raubten ihre letzte Energie. Sie konnte nicht warten, bis Herrchen wieder mal eine Büchse Fleisch aufmachte. Sie musste jetzt sofort etwas zu essen bekommen. Oftmals stand sie vor dem geschlossenen Fenster und weinte stundenlang. In der Wohnung waren ihre Kleinen, die auf die Muttermilch warteten und sie konnte nicht rein. Die Milch drückte in ihren Zitzen, was ihr unheimlich weh tat. Die Nachbarn redeten schon darüber, wie schlecht die Katzen gehalten wurden. Sie ärgerten sich über die klagenden Tiere und den Besitzer, der sein eigenes Wohl weit über dasjenige der wehrlosen Tiere stellte. Dennoch vertrieben sie die beiden armseligen Tiere, wenn diese in ihre Nähe kamen. Blackie war nicht besonders traurig, als ihre Jungen nach einigen Wochen nicht mehr da waren. Vermutlich hatte man sie in ihr neues Zuhause gebracht. Jetzt musste sie nur noch ums eigene Ueberleben kämpfen, für die Kleinen wurde ja gesorgt.
Zottel mit seinen sechs Kilos brauchte viel Nahrung. Er belagerte alle nachbarlichen Wohnungen und griff die dort lebenden Katzen und Kater regelmässig an. Er war im Quartier bekannt als böser Kater. Wenn die Besitzer ihn kommen sahen, nahmen sie ihre eigenen Tiere in die Wohnung und sperrten zu. Er biss seine Rivalen und verletzte sie zum Teil recht schwer. Die Nachbarn begannen das Herrchen und seine beiden Katzen zu hassen. Man wollte nichts mit ihnen zu tun haben. Zottel war sehr traurig. Er war ein armer, ungeliebter Kater, der Zuneigung und Futter suchte.
Eines Tages war Blackie verschwunden. Zottel suchte sie überall, vergebens. Niemand hatte Blackie mehr gesehen. Er wusste etwas, was er Blackie verschwiegen hatte. Vielleicht hatte sie es nun erfahren und sich davongemacht. Die drei Kleinen von Blackie hatten nämlich nicht ein neues Zuhause gefunden, sondern waren jämmerlich verhungert, da das Herrchen sich zu wenig um sie gekümmert hatte. Dies jedenfalls wurde in der Nachbarschaft erzählt. Er konnte Blackie gut verstehen, dass sie sich von ihrem Herrchen abgewandt hatte. Dennoch hätte sie sich von ihm verabschieden können. Er wünschte sich, dass Blackie ein neues gutes Zuhause gefunden hatte, wo es reichlich Futter und ein warmes trockenes Plätzchen gab. Er dachte oft an sie und wünschte ihr alles Gute.
Plötzlich überkam ihn eine Wut und nun wollte er auch nicht mehr nach Hause. Hätte sein Herrchen etwas mehr Verantwortungsgefühl aufgebracht, wäre das alles nicht passiert. Dann wären Blackie und er noch zusammen und die drei Kleinen würden noch leben. Er hasste ihn, wollte nur noch weg. Doch wohin sollte er auch? Er hatte die Erfahrung gemacht, dass ihn niemand wollte. Wohin er auch ging, schlossen sich Fenster und Türen. Wenn er sich im Spiegelbild betrachtete, erschrak er. Er war früher ein hübscher stämmiger Kerl gewesen. Doch jetzt sah er total verwahrlost aus. Sein Fell glänzte schon lange nicht mehr. Auf seinem Kopf juckte es den ganzen Sommer hindurch.
Milben und Flöhe plagten ihn den ganzen Tag. Mit den Würmern, die ihn innerlich fast auffrassen, hatte er sich schon längst abgefunden. Einen ganzen Winter lang versteckte er sich im Bunker. Wenn er es gar nicht mehr aushielt vor Hunger, stand er vors Fenster des Herrchens und klagte. Wenn dieser zufälligerweise zu Hause war, liess er ihn auch rein. Dann bekam er etwas zu essen und durfte sich etwas aufwärmen. Dennoch gefiel es ihm nicht mehr dort. Alles erinnerte ihn an seine geliebte Blackie und ihre armen Jungen. Er nahm sich vor, bei nächster Gelegenheit abzuhauen.
Im folgenden Frühling streifte er durch den benachbarten Park und entdeckte dort Tina, die mit ihren Katzen spazieren ging. Er beobachtete die Spaziergängerin genau. Die Katzen folgten ihrem Frauchen auf Schritt und Tritt. Legten sie sich auf den Boden, kraulte Tina ihnen den Bauch. Die Katzen spielten zusammen und kletterten auf die Bäume. Sie rannten um die Wette, quer über die blühende Magerwiese. Sie gaben ein harmonisches Bild ab. Die Katzen schnurrten und genossen den warmen Frühlingsabend. So ein Frauchen wollte Zottel auch haben. Er beschloss kurzerhand, bei Tina einzuziehen und zottelte der Katzen-Mensch-Familie nach. Von Blackie wusste er, dass es bei Tina immer etwas Leckeres zu essen gab. Doch Tina ging mit den Katzen nicht in die Richtung, die Zottel erwartet hatte. Er entdeckte nun, dass Tina umgezogen war. Sie wohnte jetzt nicht mehr in der Wohnung um die Ecke, sie lebte nun in einer Parterre-Wohnung mit Garten. Er stand am Parkrand und schmiedete einen Plan, wie er Tinas Herz erobern konnte.
Plötzlich stieg ein wohlriechender Duft in seine Nase. Nur wenige Meter neben ihm roch es nach Katzenfutter. Ob er schon Halluzinationen hatte? Seine Nase führte ihn direkt zu einer Kiste, die als Igel-Futterstelle diente. Hier wurde eine siebenköpfige Igelfamilie verpflegt. Das Futter war so platziert, dass es nicht nass werden konnte. Die Näpfe wurden täglich gewaschen und neu aufgefüllt. Zottel dachte, er habe das Paradies entdeckt. Jetzt konnte er regelmässig Futter bekommen und musste nicht mehr zu seinem Herrchen zurück. Er war überglücklich.
Er wartete jeden Abend, bis die Näpfe gefüllt wurden. Meist war es schon dunkel, als Tina die Igelfutterstelle bediente und auffüllte. Zottel konnte sich mit seinem schwarzen Fell gut verstecken. Er legte sich auf die Lauer, um die Fütterung nicht zu verpassen. Sobald Tina in den Garten zurückging, frass er gierig.
Eines Tages entdeckte ihn Tina, wie er hinter dem Baum auf der Lauer lag. Auch sie kannte ihn und die Geschichte mit Blackie und den Kleinen. So brachte sie am nächsten Abend etwas mehr Fleisch zum Futterplatz, damit es für alle Igel und Zottel reichte. Zottel konnte sein Glück fast nicht fassen. Er bekam regelmässig Futter, ohne sich deswegen prügeln zu müssen. Er konnte den ganzen Tag im Bunker schlafen und musste sich nur beim Eindunkeln zur Futterstelle schleichen. Es war himmlisch. Eines Tages stellte Tina das Futter hin und wartete. Es roch so gut, doch Zottel hatte Angst und wollte nicht hinter dem Baum hervorkommen. Er wusste, dass die Menschen ihn schlugen und beschimpften, weshalb er wartete. Doch Tina hatte Ausdauer. Sie sprach mit ihm und lockte ihn schliesslich hervor. Sie streichelte ihn, welch herrliches Gefühl! Da entdeckte sie, dass Zottel komplett verwurmt war. Sie holte eine Tablette, die sie ihm unters Futter mischte. Sie hatte Mitleid mit der schwarzen Katze.
Im Herbst baute sie für Zottel einen Unterschlupf. Auf Tinas gedecktem und windgeschützten Sitzplatz stand ein Schrank, den man mittels Katzenbaum erklimmen konnte. Auf diesen Schrank platzierte Tina eine grosse Holzkiste, die mit Teppichen und Lammfell ausgekleidet war. Die Krönung bildete das Daunenkissen, in der sich der Kater rollen konnte. Hier durfte Zottel überwintern. Er nahm das Angebot dankbar an und verbrachte die kalten Nächte in der warmgepolsterten Kiste. Wenn er Tinas Katzen begegnete, gab es aber regelmässig Streit. Diese wollten ihre Tina nicht mit dem dahergelaufenen struppigen Kater teilen. Zottel biss und kratze. Tina musste zwei ihrer Katzen vom Tierarzt versorgen lassen, da Zottel zugebissen hatte. Auf der einen Seite wollte sie Zottel zwar helfen, auf der anderen Seite konnte sie nicht tatenlos zusehen, wie Zottel ihre eigenen Tiere attackierte. Sie war hin und hergerissen.
Eines Tages entdeckte Zottel eine kleine Türe, durch die Tinas Katzen ein- und ausgingen. „Was andere können, kann ich auch“, dachte er, und ging ihnen nach. Er stand plötzlich in Tinas Küche, wo ein Töpfchen neben dem anderen stand. Sie alle waren gefüllt mit Trockenfutter. Er schlug sich erst mal den Bauch voll und schaute sich daraufhin in der Wohnung um. Es sah umwerfend aus. In jedem Zimmer stand ein Katzenbaum, der entweder auf einen Hochsitz oder auf einen Schrank führte. Auf diesen Flächen lagen Decken, wo sich die Katzen hinlegen konnten. Welch himmlisches Katzenheim!
Tina war nicht erfreut über den nächtlichen Besucher. Sie schickte Zottel wieder nach draussen in seine Höhle. Sie wollte einen neuen Streit mit ihren Vierbeinern vermeiden. Doch jetzt, wo Zottel schon mal drin war, wollte er nicht mehr raus. Da half alles Schimpfen und Toben nichts. Zottel hatte den festen Entschluss gefasst, hier zu bleiben. Dafür wollte er alles tun. Er kämpfte um sein neues Heim, legte sich vor der Katzentür auf die Lauer. Er würde jeden Eindringling vertreiben, wollte Tina für sich alleine haben. Jede Nacht ging es hoch her am Robenweg. Tinas eigene Katzen hatten Angst nach Hause zu kommen, denn Zottel belagerte kurzerhand die Katzentüre. So blieb Tina nichts Anderes übrig, als eine zweite Katzentüre einzubauen. Zottel konnte ja nur eine Türe aufs Mal belagern. Das nächtliche Streiten fand nun nicht mehr vor der Katzentüre, sondern in der Wohnung statt. Wenn Zottel Tinas Katzen begegnete, endete das meist in lautem Streit. Mitten in der Nacht wurde Tina durch Knurren und Fauchen geweckt. Sie sperrte Zottel kurzerhand ins Büro ein. Dies war grundsätzlich gar nicht so schlimm. Im Büro standen ebenfalls ein Futternapf und frisches Wasser. Wenn er rauswollte, kratzte er kurzerhand mit der Pfote an der Türe. Dann kam Tina und liess ihn raus.
Allmählich wurde es Tina zu anstrengend. Sie stand jede Nacht mehrmals auf, um die streitenden Katzen zu beruhigen. Am Morgen, wenn sie zur Arbeit fuhr, war sie noch immer müde. Sie musste eine bessere Lösung suchen und versuchte deshalb etwas Anderes. Sie sperrte Zottel zu sich ins Schlafzimmer. So konnten ihre eigenen Katzen ein- und ausgehen wie sie wollten. Zottel schlief auf dem Schlafzimmerschrank und verhielt sich mehr oder weniger ruhig. Sie wusste aber, dass dies keine Dauerlösung war. Auch funktionierte dieses System nur, wenn sie zu Hause war. Sie konnte keine Nacht auswärts verbringen, kein Wochenende wegfahren. Sie mochte den armen Zottel zwar, doch war er ihr zu anstrengend. Sie schaute ihn an und überlegte, was sie noch machen konnte, um endlich Ruhe in das Zusammenleben zu bekommen.
Für Zottel war das Ziel nahe. Nun durfte er schon ganz nahe bei Tina übernachten. Aus dem struppigen Zottel war in der Zwischenzeit ein Prachtskater geworden. Durch das regelmässige gute Futter und den trockenen Liegeplatz, glänzte sein schwarzes Fell wie Samt. Die Wurmkur hatte geholfen, die Milben waren im Winter abgestorben. Er sah wieder gepflegt aus und versuchte mit allen Mitteln, Tinas Herz zu erobern. Wenn sie schlief, legte er sich nahe an sie ran. Wenn er schnurrte, lief ihm der Speichel vor lauter Aufregung aus dem Mund. Wenn sie mit dem Streicheln aufhörte, schnappte er mit den Zähnen nach ihrer Hand, als wollte er sagen „mach weiter“. Sie erkannte schnell, dass dieses Zuschnappen kein gefährliches Beissen war, sondern dass Zottel mit ihr reden wollte. Er war beharrlich, gab nicht auf. Er liess nicht locker, zeigte sich von seiner besten Seite. Allmählich wurde er ruhiger. Er spürte, dass Tina ihn nicht mehr rauswerfen konnte, dafür hatte sie schon viel zu viel für ihn getan. Zottel nahm sich den guten Vorsatz, sich mit den anderen Katzen zu vertragen. Mit den beiden, die er bereits gebissen hatte, war dies nicht mehr möglich. Diese fauchten ihn an, wenn er nur in ihre Nähe kam. Mit der kleinen Smokie hatte er aber gar keine Mühe. Sie war ein noch so kleines Kätzchen, das vor nichts, nicht einmal vor ihm, Angst hatte. Emsy war sowieso die meiste Zeit ausser Haus. Wenn er mal daheim war, war er so müde, dass er die ganze Zeit nur schlief. Er würde sich schon mit ihnen arrangieren können.
So kam der Tag, an dem Ruhe am Robenweg einkehrte. Tina spürte, dass Zottel ihre Zuneigung gesucht hatte. Er wollte ebenbürtig wie ihre eigenen Katzen behandelt werden. So legte sie ihre Abneigung ab und schloss ihn in ihr Herz. Auch er erhielt nun jeden Tag seine Streicheleinheiten. Von diesem Tag an durfte Zottel ganz nahe bei Tina liegen. Meistens legte er sich aufs Bett zu ihren Füssen. Tina musste einsehen, dass Zottel gesiegt hatte. Er hatte sich ein neues Heim gesucht und sich Tinas ausgewählt. Seine Ausdauer war grösser als ihre. Er hatte sein Ziel erreicht und jetzt jemanden gefunden, der ihn mochte und ihn mit seinen Fehlern akzeptierte. Der arme Zottel hatte endlich ein Zuhause gefunden, seine Odyssee war zu Ende. Ab und zu geht er noch zurück in seinen Bunker, wo er ein Stück Erinnerung an Blackie hat. „Arme Blackie, du bis zu früh weggegangen. Hättest du noch ein paar Monate gewartet, hätten wir zusammenbleiben können“.