Lucky ist krank
Buch 7
Es gab nicht nur gute Zeiten in Tinas Katzenhaus. Bei so vielen Tieren ist immer wieder mal eine krank. Für Tina war das normalerweise kein Problem. Sie hatte ja genug Erfahrung im Umgang mit kranken Tieren. Kleine Verletzungen oder Schrammen konnte sie ohne die Hilfe des Tierarztes behandeln. Doch manchmal war auch sie überfordert.
Lucky, ein weisser Langhaarkater, war der Sohn der schönen Meili. Sie kam damals mit Aramis zu Tina als Spielgefährtin. Sie war eine der Gesellschafterinnen, die bei Armais im „Swingerclub“ lebten, wenn keine Zuchtkatze bei ihm war. Sie sah die Nebenbuhlerinnen kommen und gehen und beneidete sie sehr. Alle liebten Aramis, doch Meili liebte ihn auch. Er schenkte der schönen Schildpattdame allerdings keine Beachtung. Sein Blick galt nur den graziösen Birmas, die ihm liebesbereit zu Füssen lagen. Jeder Mann hätte sich so ein Leben gewünscht, und Aramis hatte es.
Das Resultat waren vier kleine Kätzchen, die neun Wochen später das Licht der Welt erblickten. Drei davon waren weiss wie ihr Vater. Lucky, der jüngste kam der Mutter gleich. Seine Grundfarbe war ebenfalls ein strahlendes Weiss, doch auch dunkle Flecken schmückten sein Fell. Meili war sehr stolz auf ihren Nachwuchs. Sie war eine sehr gute Mutter und zog ihre Kleinen vorbildlich auf. Trotzdem wurden alle vier im zarten Kindesalter krank. Tina kämpfte um ihr Leben. Sie hatten starken Durchfall und Brechanfälle. Es dauerte viele Tage bis sie über den Berg waren. Die weissen Geschwister hatten sich schon lange von der Krankheit erholt, doch Lucky ging es noch immer schlecht. Sein Leben hing an einem seidenen Faden.
Tina brachte das Kätzchen zum Tierarzt. Nur der konnte noch helfen. Er verschrieb Medikamente und viel Flüssigkeit, denn Lucky war schon sehr ausgetrocknet. Er war in der Entwicklung sehr zurückgeblieben und wurde täglich dünner. Es schien, als schrumpfe sein Körper zusammen. Tina hatte richtig Angst, den Kleinen zu verlieren. Sie schrieb in ihr Tagebuch „Wenn dieses kleine Wesen das alles übersteht, darf es bei mir bleiben und erhält den Namen „Lucky (Glücklicher)“. Als könne er lesen, fand Lucky die Kraft, seine Krankheit zu überwinden. Sein Zustand verbesserte sich von Tag zu Tag. Es dauerte zwar sehr lange, bis Lucky wieder auf den Beinen war, doch irgendwann entspannte sich die Lage. Es ging aufwärts. Der Durchfall hatte aufgehört und sein Gewicht war wieder normal. Seine Geschwister hatten das Elternhaus bereits verlassen. Wie Tina es geschrieben hatte, durfte Lucky bei ihr bleiben.
In den nächsten Monaten entstand aus dem kranken kleinen Entlein ein prächtiger Schwan. Luckys Fell wuchs und wurde seidenweich. Das Weiss war nicht so vergilbt, wie das der anderen Katzen. Es war weiss wie Schnee. Lucky war zwar gesund, doch durch die Krankheit, die er als Baby hatte, blieb er sein ganzes Leben lang ein sehr kleiner Kater von nur gerade mal zweieinhalb Kilos, doch dafür ein Wonneproppen.
Er machte Tina keinerlei Sorgen, lebte in gutem Einvernehmen mit den anderen Tieren. Manchmal lag er bei Meili, seiner Mami. Er spielte oft mit Wuschel, der stattliche sechs Kilos auf die Waage brachte. Es war ein herrliches Duo, Lucky als schmächtiges Bürschchen und Wuschel als Koloss.
Im Sommer verbrachte er die meiste Zeit draussen im Garten. Er liebte es, unter den Sträuchern zu liegen und den Fliegen zuzusehen. Manchmal entwischte er, fand einen Durchschlupf durch den Gartenzaun. Doch es dauerte höchstens bis zur nächsten Fütterung, dann stand er wieder da.
Eine schlechte Angewohnheit hatte der gute Lucky. Vor dem Fressen miaute er derart laut und eindringlich, dass Tote hätten aufwachen können. Er liess sich diese Unart einfach nicht abgewöhnen. Also war Tina auch nicht erstaunt, dass Lucky vor jeder Mahlzeit schrie. Er frass äusserst gierig und Tina dachte, er wolle einfach schneller sein als die anderen und damit die besten Happen ergattern.
Doch eines Tages, als sie ihn sich genauer ansah, stellte sie mit Schrecken fest, dass er total abgemagert war. Auch sein Schreien hatte plötzlich aufgehört. Irgend etwas stimmte hier nicht. Sie beobachtete ihn in den nächsten Tagen sehr genau. Lucky frass nicht mehr, stattdessen verzog er sich in die hinterste Ecke. Sie versuchte, wie sie es früher bei den Pflegekatzen gemacht hatte, Futter einzugeben. Es war einfach nicht möglich. Lucky verweigerte alles. Es ging ihm richtig schlecht.
Sie brachte ihn noch am gleichen Tag zum Tierarzt, der einen Knoten im Bauch feststellte. Lucky wurde sofort ins Tierspital eingeliefert, wo man ihn operierte. Tina hoffte, dass es sich beim Knoten vielleicht nur um einen Knopf oder Stein handelte, den er verschluckt hatte und dass man diesen Fremdkörper entfernen konnte.
Der Arzt in der Klinik hatte aber gar keine guten Nachrichten. Die Verdickung im Bauch war ein sehr undefinierbares Ding, eine Art Wucherung, die man operativ nicht entfernen konnte. Man hatte eine Biopsie gemacht und diese ins Labor geschickt. Nun musste man das Resultat abwarten. Erschwerend kam dazu, dass Luckys Blutwerte sehr schlecht waren. Er hatte eine starke Anämie, die sein Leben bedrohte.
Tina war sehr traurig. Sie wusste, dass es sich bei dieser Klinik um ein sehr gutes Spital handelte, in dem schon andere ihrer Katzen behandelt und operiert worden waren. Sie wusste, dass die Lage ernst war.
Es blieb ihr nichts anderes übrig als zu hoffen, dass doch noch alles gut würde. Sie besuchte ihren kleinen Schatz jeden Tag, der – trotz seiner Notlage – unaufhörlich schnurrte. An seinen Beinen hingen die Infusionen und sein Blick war vor lauter Medikamente nicht mehr klar. Auch wenn man ihn mit starken Medikamenten vollpumpte, wurde es nicht besser. Die Anämie schritt weiter fort und die Blutwerte wurden von Stunde zu Stunde bedrohlicher. Lucky kämpfte um sein Leben. Tina hatte sehr grosses Mitleid mit diesem kleinen hilflosen Katerchen. Da lag er nun, an Schläuchen gehängt, und wäre doch viel lieber durch den Garten gerannt.
Einen Tag später bat man Tina, sofort zu kommen. Es ging mit Lucky abwärts. Als sie in der Klinik eintraf, war er mit einer Pfote bereits im Katzenhimmel. Die Blutwerte waren rapid abgefallen. Lucky musste erlöst werden. Tina hielt ihn bei seinen letzten Atemzügen in ihren Armen und verabschiedete sich von ihm. Er durfte nur zweieinhalb Jahre alt werden.
Erst zehn Tage später kam das Resultat aus dem Labor. Lucky hatte die tödliche Krankheit FIP. Für Katzen mit diesem Virus gibt es leider keine Rettung. Sie ist für jeden Katzenhalter etwas vom Schlimmsten, denn sie kommt plötzlich und kann jedes Tier treffen. Und wenn sie ausgebrochen ist, gibt es keine Rettung mehr.
Immerhin musste Lucky nicht lange leiden. Die Medikamente hatten ihm die Schmerzen genommen. Als man ihn erlöste, ging alles sehr schnell. Tina fand nur ganz wenig Zeit, sich von ihm zu verabschieden. Sie hatte wieder mal ein liebes, junges Tier verloren. In Tinas Katzenhaus hing die Fahne auf Halbmast.