Das Pinguinmädchen und der goldene Fisch (JD)
Buch 8
Das Pinguin-Mädchen und der goldene Fisch
Die Eiskristalle glitzerten in der Sonne, als das Pinguin-Mädchen einsam am Wasserloch, mitten in der unendlich scheinenden Eisfläche stand. Sie beobachtete wie die Fische sich im Wasser wanden und wie ihre silbernen Schuppen ebenfalls in der Sonne glitzerten. Wenn sie die Augen fast ganz schloss, verschwammen die Fische im Glitzern des Eises.
Sie hatte Hunger, ihr war kalt und sie verlor sich in ihrer unendlichen Einsamkeit. Ihr Bruder hatte schon so viele Fische gefangen und gegessen und nun sonnte er sich mit dem Gesicht zur Sonne gerichtet, bei den anderen Pinguinen.
Wieso stieg in ihr diese Einsamkeit auf? Wieso vermochte sie nicht so schnell fischen zu können wie ihr Bruder, wo sie doch über einen Kopf grösser und die Erstgeborene ihrer Sippe war? All diese Gedanken erdrückten sie und je mehr sie sich überlegte, wie sie zu ihrem Frühstück kam, desto fröhlicher und schneller tanzten die Fische im Wasser. Fast schien es so, als würden sie sich über sie lustig machen und zu ihr hoch schreien: „Fang mich doch… fang mich doch…“. Und auf einmal füllten sich ihre Augen mit Tränen, die die Welt um sie herum in einen tröstenden und verschwommenen Schleier erschienen liessen. Sie blinzelte und eine einzige, grosse Träne kullerte über ihr Gesicht und ihr glänzendes Federgewand ins Wasserloch.
Zuerst glaubte sie, ihre Fantasie spiele ihr einen Streich, als der einzig goldene kleine Fisch seinen Kopf über die Wasseroberfläche streckte und sie neugierig anschaute. „Warum weinst du?“ Sie erschrak und zuckte zusammen. Hat der Fisch mit ihr gesprochen? Seit wann können Fische reden? Und warum sah er so anders aus, als die übrigen Fische? War er wirklich golden? Wie kam das? Der goldene Fisch wiederholte seine Frage: „Wieso weinst du?“ Sie blickte sich ängstlich um. Kein anderer Pinguin stand neben ihr. Alle sonnten sich und verdauten den morgendlichen Fischschmaus, den sie nicht gehabt hatte. Also sprach der goldene fisch tatsächlich mit ihr, denn sie stand alleine am Wasserloch. Sie antwortete ganz leise, so leise, dass nur der Fisch und das stille, ewige Eis sie hören konnten. „Ich weine, weil ich so traurig bin. Ich habe grossen Hunger und konnte bisher noch keinen einzigen Fisch fangen, der meinen Magen füllt. Mein kleiner Bruder kann kaum stehen, so voll ist sein Bauch und auch die anderen Pinguine fanden genügend Fische und nun sind sie patt satt. Die Einzige, die es noch nicht geschafft hat, bin ich.“ Der goldene Fisch schaute sie nachdenklich an. Plötzliche tauchte er ruckartig ab und verschwand in den blauen tiefen des kalten Eismeeres.
Sie starrte ins Wasserloch und konnte immer noch nicht fassen, dass der Fisch mit ihr gesprochen hatte. Regungslos stand sie da und spürte wie die nächsten Tränen der Trauer in ihr hoch stiegen, als plötzlich der goldene Fisch inmitten vieler kleiner, silberner Fische an der Wasseroberfläche auftauchte. „Schau, das sind meine Freunde und sie wurden geboren, damit du sie essen kannst, dein Bauch voll wird und du nicht mehr traurig und einsam bist.“
Wieso tat er das? Sie war doch nur ein ungeschicktes Pinguin-Mädchen unter hunderten, nein trausenden Pinguinen, hier am Eismeer. Der Fisch erkannte sofort ihren nachdenklichen Blick und sagte: „Nimm sie, das ist mein Geschenk an dich.“ Er lächelte sie an. „Du hast es genauso verdient wie die Anderen.“ Mit gesenktem Blick nahm sie die Gabe entgegen und verspeiste die leckeren Fische. Dann gesellte sie sich zufrieden und glücklich zu dem Schwarm Pinguine, die noch immer an der Sonne standen. Bevor sie ging dankte sie dem goldenen Fisch für seine Güte. Er zwinkerte ihr zu und verschwand in den Tiefen des Wassers. „Gern geschehen.“ Sie sah den goldenen Fisch nie mehr wieder.
Am nächsten Morgen stand das Pinguin-Mädchen wieder am selben Wasserloch in Mitten der Eisfläche und wie aus dem Nichts, erschienen viele kleine silberne Fische, die ihr zuzwinkerten. Mit Genuss verspeiste sie die Gabe und war die Erste, die nach dem Frühstück an der Sonne stand und sich wärmte. Sie dachte an den goldenen Fisch und lächelte.
Und von nun an wiederholte sich dieses tägliche Spiel bis in alle Ewigkeit.