Hände hoch - Luskas Bücher

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Hände hoch

Buch 5
Hände hoch

Im Strassenverkehrsamt ging es hoch her. Jetzt, kurz vor Jahresende wollten noch viele Leute ein neues Auto einlösen oder eine Adressänderung im Fahrzeugschein eintragen lassen. Sie standen in einer langen Warteschlange vor dem Schalter. Es gab zwar eine Sitzgruppe, die jedoch meistens voll besetzt war. Vor Weihnachten war es immer sehr hektisch auf diesem Amt. Viele Leute wollten nun, kurz vor Jahresende, alles noch erledigen, was sie das ganze Jahr hindurch verschlampt hatten. Am Haupteingang gab es eine automatische Türe, die sich bei jedem Besucher öffnete und schloss.

Sheriff wohnte seit ein paar Monaten in einem verlassenen Gartenschuppen ganz in der Nähe. Er hatte kein Zuhause, musste sich allein durchs Leben schlagen. Trotzdem war er ein zutraulicher Kerl, hatte keine Angst vor den Menschen. Früher war er einmal Hauskater gewesen, hatte auch in einer Familie gewohnt. Doch jetzt war das anders. Jetzt musste er für sich selber sorgen.
Meistens ging er am Abend auf die Jagd. Das nahe gelegene Feld war allerdings nicht sehr ergiebig und er musste oft mit knurrendem Magen schlafen gehen. Eines Tages hatte er das Strassenverkehrsamt entdeckt. Hier gingen jeden Tag etliche Leute ein und aus. Manche von ihnen mussten lange warten. Im Sommer setzten sich die Angestellten über den Mittag oft draussen hin.

Dort gab es eine Gartenbank und einen Tisch aus Stein. Die Mitarbeiter verbrachten die kurze Mittagszeit miteinander wie eine kleine Familie. Jeder hatte etwas zu essen dabei. Die Auswahl war gross, denn jeder hatte sich von daheim ein Sandwich, einen Salat oder eine Wurst mitgebracht.

Wenn Sheriff sich zu ihnen gesellte, bekam er ab und zu etwas Futter ab. Dann schaute er nämlich zu ihnen hoch, als sei er ein ganz, ganz armes Tier. Er öffnete seinen Mund, aus dem ein fast lautloses Krächzen kam. Die Mitarbeiterinnen bekamen den Eindruck, dieser Kater würde demnächst verhungern. Mit seinen grossen, schönen Augen fixierte er die Angestellten. Manche liessen sich erweichen und übergaben ihm einen Teil ihres Mittagessens. Andere blieben hart. Die merkte er sich genau. Diese würde er am nächsten Tag links liegen lassen. Da ist ja jede Mühe vergebens.

Seit Wochen ging das schon so. Sheriff bekam zuerst Stücke vom Sandwich oder eine Ecke Käse. Eines Tages stand ein richtiger Futternapf vor ihm, gefüllt mit leckerem Katzenfutter. Whow, das war aber ein Leben. Jetzt wurde es interessant hier.

Zuerst blieb er immer brav draussen und wartete auf die Mittagszeit, wo die Angestellten sich draussen hinsetzten. Als es im Herbst aber kühler wurde, blieben auch die Angestellten über den Mittag drinnen. Die Futterschale blieb an manchen Tagen leer und Sheriff musste sich etwas einfallen lassen. Irgendwie war er vergessen worden. Er musste wieder auf sich aufmerksam machen.

Als der nächste Kunde durch die Drehtüre ging, ging er ihm nach. Er stand mitten in der Schalterhalle, sah die vielen Beine, die ungeduldig darauf warteten, dass ihre Nummer aufgerufen wurde. Er schnupperte an den Schuhen, ging von einem zum andern. Dann legte er sich unter einen Stuhl, rollte sich zusammen und schlief ein. Hier war es zwar hart, dafür warm.
Eine Angestellte entdeckte ihn, als der Besucherstrom geringer wurde. Sie brachte ihn nach draussen, denn Tiere waren in diesem Amt nicht erwünscht.

"Mist" dachte er, "dabei wäre es da drinnen so trocken, warm und interessant gewesen". Am nächsten Tag, als der Futternapf noch immer leer war, schlich er sich wieder rein. Er war mutiger geworden. Gestern noch hatte er nur geschnuppert, heute machte er auf sich aufmerksam. Er drückte sein Köpfchen an die Beine der wartenden Menschen. Manche von ihnen fanden das schrecklich, andere hingegen lächelten ihm zu. Und siehe da, ein Kind liess sein Butterbrot "versehentlich" fallen. Sheriff schnappte sich den Leckerbissen, schleppte ihn unter den nächsten Stuhl und machte sich darüber her. Dann legte er sich wieder hin und verschlief den Nachmittag.

Wie jeden Abend wurde er am Feierabend nach draussen gebracht. Allmählich war das nicht mehr lustig, denn die Nächte wurden schon sehr kalt. Er verkroch sich in sein Gartenhaus, rollte sich ein und wartete, bis die Schalter am nächsten Morgen geöffnet wurden. Das Spiel wiederholte sich von Tag zu Tag. Die Angestellten mussten allmählich einsehen, dass es keinen Zweck hatte, den Kater nach draussen zu befördern. Er würde die nächste Gelegenheit nutzen, um wieder in die Schalterhalle zu gelangen. Er wurde nun geduldet, durfte sogar – sofern der Andrang der Menschen nicht zu gross war – einen Stuhl ergattern und sich drauf legen. Schön war es hier. Die Stühle waren weich gepolstert und warm. Erstaunlicherweise machte ihm niemand seinen Platz streitig. Die Kunden lächelten ihm nur zu. Es kam sogar einmal ein Fotograf, der eine Aufnahme von ihm machte. Sein Bild wurde in der regionalen Zeitung veröffentlicht "Besonderheit: Ein Amt mit eigenem Kater". Seit diesem Artikel war alles kein Problem mehr. Irgendwie war man plötzlich stolz darauf, Sheriff zu haben.

Doch dann kam die Nacht der Nächte, die sein Leben verändern würde. Die Feiertage standen vor der Türe. Am Eingang wurde ein Weihnachtsbaum aufgestellt, an dem viele farbige Kugeln hingen. Der Baum war geschmückt mit zahlreichen kleinen Lichtern. Darunter lagen farbig eingepackte Geschenkpäckchen. Leider waren sie leer, das konnte er mit seiner geschulten Nase noch schnell erkennen. Sie dienten lediglich als Dekoration.

Aus den Büros kamen fremde Gerüche. Es roch nach Gebackenem, Zimt und Duftkerzen. Natürlich bekam er schon seit Wochen regelmässig Futter, doch seine Neugier wuchs. Er wollte sehen, warum sich hier alles verändert hatte. Als die Schalterhalle sich leerte, verliessen auch die Angestellten ihren Arbeitsplatz. Sie gingen nicht wie jeden Tag nach Hause, sondern versammelten sich im Sitzungszimmer. Eigentlich war er hier auch angestellt, dachte sich Sheriff. Wenn die etwas zu feiern hätten, gehörte er auch dazu. Er folgte ihnen. Da standen sie, prosteten sich zu. Er hörte sie sagen "Fröhliche Weihnachten". Zwar wusste er nicht, was das zu bedeuten hatte, doch konnte sein Näschen erkennen, dass es hier Käse und Wurst gab. Er drückte sich durch die vielen Beine und stellte sich direkt unter den Tisch, auf dem die Leckereien aufgetischt waren. Er brauchte nicht lange zu warten, denn für die Angestellten war es nicht einfach, das Glas, die Serviette und den Käse oder die Wurst gleichzeitig in den Händen zu halten. Da fiel doch ab und zu mal was auf den Boden. An diesem Abend brauchte man keine Putzequipe. Sheriff kümmerte sich darum. Er nahm alles auf, was "versehentlich" auf den Boden gefallen war. "Aha", dachte er, "das ist Weihnachten".

Die genaue Bedeutung von Weihnachten bekam er erst in den nächsten Tagen zu spüren. Die Büros blieben leer, an den Feiertagen blieb das Amt geschlossen. Sheriff wartete vergeblich draussen. Niemand kam, der Hunger war gross. Er schlenderte durch die Häuserreihen und hörte Weihnachtslieder. Die letzten Verwandten kamen mit eiligen Schritten nach Hause. In den Händen trugen sie viele farbig verpackte Geschenke. Die Hektik war den ganzen Tag enorm gewesen. Besonders die Männer hatten die Weihnachtsgeschenke wie jedes Jahr im letzten Moment gekauft. Sie irrten teilweise unbeholfen von einem Geschäft zum nächsten. Wie schlecht sie doch den Wunsch und Geschmack ihrer Liebsten kannten! Sie schworen sich, dass es nächste Weihnachten besser werden würde.
Erst mit dem Eindunkeln liess die Hektik nach. Die Geschäfte schlossen ihre Pforten, und es wurde sehr ruhig in den Strassen. Fast niemand war mehr zu sehen. Die Menschen hatten sich zu Hause in der Familie versammelt, um den heiligen Abend bei einem guten Essen und Weihnachtsliedern zu verbringen. Nur selten kam jemand vorbei, ein Single auf der Suche nach einem trauten Heim. In den Kirchen, Gemeindehäusern und einzelnen Restaurants gab es Weihnachtsfeiern für Alleingebliebene. Sheriff war auch allein. Doch niemand beachtete ihn. So machte er sich wieder auf den Weg aufs Feld. Die Schlemmerzeit war vorbei, jetzt musste er sich seinen Weihnachtsbraten selber erlegen. Wie ungerecht diese Welt doch war!

Das Amt blieb mehrere Tage geschlossen. Allmählich bekam es Sheriff mit der Angst zu tun. Was würde er nur machen, wenn dies ein Dauerzustand bliebe? Im Gartenhaus war es viel zu kalt in diesem Winter. Der Wind blies klirrend kalt durch die lose hängenden Schindeln. Manchmal war es gerade noch auszuhalten, doch meistens fror er. Vom Hunger gar nicht zu reden. Da nützte auch die warme muffige Decke nichts, in die er sich einrollte.

Wie erfreut war er doch, als er wenige Tage später vor einer offenen Drehtür stand. Er entdeckte auch die Angestellten wieder, die an ihrem Arbeitsplatz sassen und fleissig arbeiteten. "Das war aber letzte Rettung", dachte der kleine Kerl und liess sich erschöpft auf den beigensde Stuhl am Eingang fallen. Er wusste genau, dass so etwas nicht noch einmal passieren durfte.

Leider liess das Unglück nicht lange auf sich warten. Bereits standen neue Feiertage vor der Türe. Das Jahresende war da. Auch am Silvester sollten die Pforten geschlossen bleiben. Sheriff erkannte erneut die Hektik, die in der Luft lag. Dieses Mal liess er sich nicht einfach rausschmeissen. Nein, ins kalte Gartenhaus wollte er nicht mehr. Er versteckte sich kurzerhand unter einem Pult, bevor der letzte Angestellte das Büro verliess.

Was er nicht wusste, er lag unter dem Chefpult. Dieser hatte noch länger gearbeitet, die letzten Fälle vor dem Jahresende gelöst. Es war schon dunkel, als er den Heimweg antrat. Er verschloss sein Büro und stellte alle Schalter auf "Sonntag". Nun war alles gesichert, so, wie es in den Vorschriften stand. Dann schlenderte er nach Hause. Er freute sich auf einen geselligen Silvester im Kreise seiner Familie. Kurz nach Mitternacht war es aus mit dem schönen Abend. Er wurde per Telefon über die Geschehnisse informiert, aus der Familienfeier gerissen und ins Büro beordert.

Für die Polizei ist Silvester kein schönes Fest. Viele Leute feiern auswärts, betrinken sich und verursachen dann schlimme Unfälle. Andere kennen keine Grenzen, knallen mit ihrem Feuerwerk so lange in der Gegend herum, bis die Nachbarn die Polizei alarmieren. Auch in den Gangsterkreisen ist Silvester ein beliebter Abend. Die Leute gehen auswärts feiern und lassen daheim ihr Hab und Gut unbeaufsichtigt stehen. Damit ziehen sie Einbrecher an. Andere versammeln sich in Massen, um dem Feuerwerk beizuwohnen. Taschendiebe nützen diese günstige Gelegenheit, um im Gedränge Geldbörsen, Uhren und Handys zu klauen. All das ist bei der Polizei bestens bekannt. Während die einen den Jahreswechsel feiern, sind andere im Dienst. Das Aufgebot der Polizei ist an diesen Tagen doppelt so gross wie normal. Man ist ständig in Bereitschaft, um Ordnung ins chaotische Geschehen zu bringen. Die Polizeipatrouillen sind unentwegt in den Strassen, beobachten die leerstehenden Häuser und schützen die Frauen, die im Dunkeln allein den Heimweg antreten. Silvester ist kein normaler Abend. Man ist auf alles gefasst.

Wenige Minuten nach Mitternacht ging der Alarm los. Im Strassenverkehrsamt war eingebrochen worden. Dort gibt es attraktive Beute: viel Bargeld, blanko Fahrausweise und vieles mehr. Es ist nicht das erste Mal, dass eine Einbruchsbande sich dort eingeschlichen hatte. Dieses Gebäude wurde schon mehrmals von Gangstern unter die Lupe genommen, denn es war sehr schwierig abzuriegeln. Eine Flucht ist leicht möglich.

Nur wenige Minuten nach dem Alarm, stand die Polizei im Grossaufgebot vor der Türe. Dieses Gebäude war nicht einfach abzusichern, denn es bestand aus einem grossen Haupthaus mit Nebengebäuden. Es gab zahlreiche Ein- und Ausgänge, die man zu beobachten hatte. Die Polizeibeamten trugen dunkle Kleidung und eine schusssichere Weste. Sie standen mit erhobenen Waffen bereit und warteten auf den Befehl von oben. Sie waren in grosser Zahl gekommen und hatten sich auf leisen Sohlen in Position gebracht. Ihre Waffen waren auf die Eingänge gerichtet. Sie riegelten das ganze Gelände professionell ab, bereit, den Einbrecher auf frischer Tat zu erwischen und abzufangen. Trotzdem war es mucksmäuschenstill. Beim Alarm handelte es sich um einen stillen Alarm, der zwar in der Polzeizentrale einging, von dem man aber im Strassenverkehrsamt selbst nichts hörte. Nachdem sie das Gebäude eine Weile beobachtet hatten und nichts Ungewöhnliches zu erkennen war, kam aus der Zentrale die Weisung, das Gebäude zu stürmen.

Jetzt ging alles blitzschnell. Die Polizisten öffneten die Türen, rannten ins Gebäude. Noch immer trugen sie die Waffen schussbereit vor sich. Sie verteilten sich im ganzen Amt, so wie sie es in der Ausbildung gelernt hatten. Sie rannten von einem Büro ins nächste. Ueberall hörte man die eiligen Schritte und leisen Befehle. Es war stockdunkel. Man sah nur die Taschenlampen, mit denen jeder Winkel abgesucht wurde.

Im Erdgeschoss war alles "sauber*, ebenso im ersten Stock. Erst im zweiten Stock wurde man fündig. Hier sass der Einbrecher. Man hatte ihn auf frischer Tat ertappt. Jetzt sass er in der Falle. Der Einbrecher wusste genau, dass er keine Chance hatte. Er konnte diesem Massenaufgebot nicht entrinnen. Er zog seine Waffen ein und ergab sich.

Unter dem Chefpunkt sass Sheriff mit weit aufgerissenen Augen. Er wusste nicht, dass dieses Büro mit einem Bewegungsmelder gesichert war. Er hatte den ganzen Abend hier verbracht. Meistens hatte er geschlafen. Solange er sich langsam bewegte, war nichts passiert. Als es jedoch Mitternacht wurde und draussen das Neujahrsfeuerwerk losging, brach bei Sheriff die Panik aus. Das Geknalle und Geschreie taten ihm weh in den Ohren. Ueberall sah er die Lichter am Himmel. Raketen zischten zum Himmel hoch, um oben mit einem lauten Knall und einem Lichterregen den Himmel zu erhellen. Er dachte, der Krieg sei ausgebrochen. Voller Panik rannte er kreuz und quer durchs Zimmer, suchte einen Ausweg, um an einen ruhigeren Ort zu gelangen. Der Bewegungsmelder hatte ihn entdeckt und in der Polizeizentrale Alarm ausgelöst.

Nun standen die Männer um ihn herum und lachten ihn aus. Wie er sich doch schämte. Er machte sich so klein wie möglich, hätte sich am liebsten in die hinterste Ecke verkrochen. Er schämte sich so sehr.

Dann kam auch noch der Chef, den man von der Feier geholt hatte. Dieser schimpfte mit ihm. Er fand es gar nicht lustig, dass der Kater diese Aktion ausgelöst hatte. Ihm war nun klar, dass man für Sheriff ein richtiges Zuhause suchen musste. So konnte das nicht weiter gehen.

Alle Angestellten und Bekannten wurden gefragt, ob niemand dem guten Sheriff ein Zuhause bieten könnte. Leider war niemand bereit, den kleinen Kater aufzunehmen. Nach ein paar Wochen wurde Sheriff ins Tierheim gebracht. Hier konnte er nichts mehr anstellen. Hoffentlich würde er bald ein schönes Zuhause bekommen.

Nachdem Sheriff seine Geschichte beendet hatte, hörte er das Gelächter im Kreise der Katzen. Sie fanden die Geschichte amüsant. Heute, drei Monate später, musste auch Sheriff darüber lachen. Erst hatte er sich unheimlich dafür geschämt, doch nun wusste er, dass seine Geschichte lustig war. Wieso sollte er sich denn dafür schämen? Er konnte ja eigentlich nichts dafür. Es war einfach Pech.

Von diesem Tag an trug Sheriff seinen Schwanz wieder hochgestellt. Aus dem mürrischen Kater entwickelte sich schon bald ein Schmusekater. Sein Fell wurde schöner und glänzte wieder. Er setzte sich regelmässig zu den anderen Katzen hin, wenn sich diese mit Lucky unterhielten. Er genoss es sichtlich, in die Gemeinschaft aufgenommen zu sein. Wie schön es doch war, die anderen in der Nähe zu haben und ihre Körper zu spüren. Nun war er wieder glücklich und zufrieden. Es ist deshalb nicht erstaunlich, dass schon bald nette Leute kamen, die auf Sheriff aufmerksam wurden. Als sie von seiner Geschichte hörten, mussten sie schmunzeln. Wie es scheint, hatten sie hier einen berühmten Kater vor sich. Der würde bestens in ihre Familie passen, das wussten sie genau. Die Frau mit ihren zwei Kindern entschied sich spontan für Sheriff. Von jetzt an durfte er in dieser Familie leben, die am Stadtrand in einem kleinen Haus wohnte. Er würde Freigang bekommen und trotzdem im Haus die kalten Nächte verbringen können. Sheriff freute sich. Gerne liess er sich in die Transportkiste verfrachten. Im Auto gab er keinen Laut von sich. Er wollte sich von der besten Seite zeigen und war gespannt, wie sein neues Zuhause aussehen würde. Auch kannte er den Vater ja noch nicht. Dieser war nicht dabei gewesen, als die Familie ihr neues "Familienmitglied" ausgesucht hatte. Hoffentlich würde er sich gut mit ihm verstehen. Er war sehr neugierig, als man die Boxe öffnete und ihn in seinem neuen Heim raus liess. Hier war alles gross und hell. Voller Freude entdeckte er einen deckenhohen Kratzbaum, darunter ein flauschiges Liegebett. Es gefiel ihm hier ausgezeichnet. Dann sah er den Vater. Dieser stand in der Türe und betrachtete den kleinen Kater, der langsam durchs Zimmer ging und alles beschnupperte. Der kleine Kater sah an ihm hoch und schaute ihn genau an. Wäre er ein Mensch gewesen, wäre ihm die Schamröte ins Gesicht geschossen. Vor ihm stand ein grosser Mann in Uniform. Auf seiner Schulter waren viele Zeichen angebracht, vermutlich ein ranghoher Beamter. Es war der Polizeipräsident persönlich.

Von Sheriff erzählten sich die Katzen noch lange. Beim Gedanken daran, wie plötzlich die Polizei mit gerichteter Waffe vor ihm stand, mussten sie schmunzeln. Welch peinliche Situation für alle Beteiligten! Trotzdem waren sie ihm neidisch, dass er einen schönen Platz gefunden hatte. Wenn eine von ihnen das Tierheim verlassen durfte, freuten sich alle. Dann versammelten sich alle um den "Abgänger", drückten ihr Köpfchen noch einmal fest an ihn und wünschten ihm alles Gute. Sie hofften alle, bald hier wegzukommen. Es war ja nicht so, dass man sie hier quälte oder hungern liess. Nein, alle waren freundlich zu ihnen und versuchten wirklich, ihnen etwas Liebe zu geben. Doch es waren zu viele Tiere. Die Tierpfleger hatten viel Arbeit mit Putzen, Füttern und Versorgen und nur wenig Zeit, die Tiere zu streicheln und zu liebkosen. Und genau danach sehnten sie sich. Sie wünschten sich in eine Familie zu kommen, am besten mit vielen Kindern. Denn viele Kinder heisst automatisch auch viele Hände zum Streicheln. In ihren Träumen sahen sie sich in einem kuscheligen Korb liegen, dicht bei ihrem Menschen. Sie wurden den ganzen Tag gestreichelt. Zwei Mal am Tag gab es Futter, natürlich von der besten Sorte. Sie mussten nicht ums Futter kämpfen, es war genug vorhanden. Auch durften sie raus, wann immer sie wollten. Sie streckten ihr Näschen in die Luft, um den Duft des Frühlings einzuziehen. Unter ihren Pfoten spürten sie das feuchte Gras, das bei jedem Schritt weich nachgab. Im Traum sahen sie Mäuse und Käfer, die zur Jagd animierten. Das Wasser lief ihnen im Mund zusammen. Leider wurden sie jeden Morgen jäh aus ihren Träumen gerissen und mussten feststellen, dass sie noch immer hier fest sassen und dass sich noch niemand für sie interessiert hatte.

Gott sei Dank gab es Lucky, der ihnen berichtete, was ausserhalb des Tierheimes los war. Er war ein willkommener Gast, der jeweils freudig begrüsst wurde. Lucky wusste, wie schlimm es ist, eingesperrt zu sein. Mit seinen Besuchen konnte er seine Freunde etwas aufheitern. Zudem gehörte diese Strecke sowieso zu seinem Revierrundgang, den er jeden Tag mehrmals machte. Auch heute hatte er eine neue Geschichte zu erzählen.
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