Hallo, wer bist du denn
Buch 3
Tasja ist der Boss
Simba ging schon seit Monaten bei Tina ein und aus. Er hatte alle anderen Katzen kennengelernt. Tasja schaute ihn jeden Abend mit Vorsicht an. Sie wusste, dass er ein gefährlicher Kerl war. Sie war zwar dick, doch er war gross. Sie hätte bei einem Angriff keine Chance gehabt. Manchmal schnappte Simba auch voller Angriffslust gegen Tasja. Zu Beginn rannte sie regelmässig weg und versteckte sich. Mit der Zeit merkte sie aber, dass das alles nur Show war. Simba blieb nämlich jedes Mal knapp vor ihr stehen. Auch sein Fauchen war nur Angeberei. Also musste sie auch nicht
mehr wegrennen. In kalten Nächten lag sie auf dem Lammfell im Wohnzimmer und döste vor sich hin. Wenn sie Simba kommen sah, öffnete sie nur noch ein halbes Auge. Sie kannte das Spiel bereits, den grossen Macker spielen und dann abbremsen. Bei ihr hatte er keine Chance mehr. Sie hatte ihn durchschaut.
Tasja lebte schon seit vielen Jahren bei Tina und ihren Katzen. Sie war als kleines Kätzchen hierher gekommen und hatte in den letzten Jahren alle Katzen kennengelernt, die hier ein- und ausgingen. Irgendwie war sie etwas wie eine Ersatzmutter. Sie kümmerte sich um jedes Katzenbaby, das Tina mit nach Hause brachte, lehrte es das Jagen und viele Dummheiten. Sie war wie eine Amme, nahm sich den Kleinen sofort an. Selber hatte sie nie Katzenbabies gehabt, doch als Pflegemutter manchem Büsi das A und O des Lebens beigebracht. Leider hatte sie auch miterleben müssen, wie die eine oder andere ihrer Mitbewohnerinnen verschwand oder verstarb. Dann war sie lange traurig, weinte und schrie oft nächtelang.
Früher war sie eine hübsche Katze gewesen, mit einem strahlend weissen Fell. Im Verlaufe der letzten Jahre hatte sie aber zugenommen. Sie frass nicht sonderlich viel, doch alles blieb an ihr hängen. Ihr Bauch wurde rund und ihr Gang gemächlicher. Manchmal hatte sie Mühe aufzustehen, besonders dann, wenn sie lange gelegen hatte. Trotzdem war sie gesund. Es machte ihr nichts aus, dass alle dachten, sie wäre trächtig oder hätte eben Junge bekommen. Sie war halt so und wurde von Tina trotzdem geliebt. Klar, manchmal war sie eine Hexe, mindestens äusserlich benahm sie sich so. Im Inneren jedoch war sie die Güte selbst. Auch wenn sie die Kleinen mit Strenge Benehmen lehrte, konnten diese Tasja leicht um den Finger wickeln. Sie lag oft da und schaute den Anderen beim Rumtoben zu. Dabei dachte sie oft an die Zeit, als sie selber noch klein und verspielt war. Die Neuzuzüge durften eigentlich alles, fast alles. Etwas hasste sie, da kannte sie keine Gnade. Wenn sich eine der anderen Katzen in ihre Schlafhöhle legte, dann war der Teufel los. Dann ging Tasja mit ihren Pranken auf den Frechdachs los. Wenn sie sich in voller Grösse vor den Höhleneingang stellte und mit ihren Tatzen auf den Eindringling einschlug, verschwand auch die mutigste Katze. Sie teilte die Wohnung, den Fressnapf und auch Tina mit den anderen, doch ihre Höhle beanspruchte sie alleine. Sie war ihr heilig.
Smokie wird gejagt
Anders war es bei der Schildpatt-Dame Smokie. Sie gehörte
zur Kategorie der scheuen Katzen und hatte grossen Respekt vor dem
Langhaarkater Simba. Wenn sie ihn kommen sah, verzog sie sich entweder ganz
oben auf den Katzenbaum oder zurück in den Park, wo sie sich die meiste Zeit
aufhielt. Tina hatte
Mitleid mit Smokie. Aus ihr unerklärlichen Gründen war Smokie immer die
Gejagte. Alle Katzen rannten hinter ihr her und versuchten sie zu vertreiben.
Sie wohnte zwar schon lange bei Tina und hatte ihren Stammplatz in der
Katzenfamilie, doch sie musste immer ausweichen und den anderen gehorchen.
Besonders Tasja war eine richtige Hexe. Ihr traute sie gar nicht über den Weg.
Selbst wenn beide Katzen das gleiche Futter vorgesetzt bekamen, ging Tasja zuerst
an Smokies Napf. Aus lauter Angst überliess ihr Smokie ihren Teller. Tina war unerklärlich,
woher das kommt. Smokie war eine sehr unscheinbare und bescheidene Katze. Sie
lag den lieben langen Tag unter einem Baum im benachbarten Park. Nie hatte sie jemanden
angegriffen oder verletzt. Unter den Katzen gab es anscheinend eine
Rangordnung, in der Smokie ganz unten war. Sie musste sich all das gefallen
lassen. Dafür erntete sie besondere Streicheleinheiten von Tina und regelmässig
eine Schale voll Katzenmilch. Smokie war Tina sehr dankbar für den zusätzlichen
Leckerbissen und drückte ihr dafür ihr Köpfchen fest an die Beine.
Calimera schöne Samena
Samena, die schöne Griechin lebte schon seit einigen Jahren bei Tina. Nachdem ihre ursprüngliche Besitzerin gestorben war, nahm Tina die Dreifarbige bei sich auf. Sie hatte sich schon bald mit den anderen Katzen angefreundet und war glücklich, eine neue Familie gefunden zu haben. Die Winterzeit verbrachte sie vorwiegend auf dem Katzenbaum am Eingang der Wohnung. Im Sommer hingegen schlenderte sie durch die Umgebung. Sie verbrachte die warmen Tage einen Häuserblock weiter im Schatten der grossen Bäume. Dort legte sie sich in die hochstehende Magerwiese
und schaute den Käfern und Insekten zu. Dann lernte sie Kurt kennen. Nein, Kurt war kein Kater, sondern ein Tierfreund aus der Nachbarschaft. Er wohnte nicht weit weg von Tinas Wohnung und war ein Hobbygärtner. Er hatte aus einem heruntergekommenen Hügel einen wunderschönen Garten geschaffen. Samena schaute ihm zu, wie er Blumen und kleine Gebüsche pflanzte. Wenn er die frische Erde in den Beeten festgedrückt hatte, ging Samena hin und beschnupperte alles ausgiebig. Hier roch es ja ganz interessant. Manche Pflanzen erinnerten sie an Samos, wo sie einst herkam. Auch dort roch es nach Lavendel und Thymian. Sie lag stundenlang ganz nahe bei ihm und war sich sicher, durch die Magerwiese unentdeckt zu bleiben. Da war sie aber auf dem Holzweg. Auch Kurt beobachtete die kleine Dreifarbige. Sie war ihm aufgefallen, da sie jeden Tag regelmässig zu ihm auf Besuch kam. Er wusste, wo ihr Zuhause war, und war dennoch erstaunt, dass sie fast täglich bei ihm aufkreuzte.
Unter einem der Bäume gab es eine Igelfutterstelle, die Kurt besorgte. Dort fand Samena frisches Wasser und manchmal sogar ein übriggelassenes Stückchen Fleisch. Aussenstehende hätten meinen können, die Katze wäre nirgendwo zu Hause. Dabei fand sie die selber gefundenen Leckerbissen einfach interessanter und besser. Für Kurt und Samena begann ein alltägliches Spiel. Er versteckte Leckerbissen im Gras und Samena suchte sie. Wenn sie diese gefunden hatte, verschlang sie sie sofort und rannte zurück ins hohe Gras, um sich wieder zu verstecken. Samena gewöhnte sich daran, von Kurt gefüttert zu werden. Sie ging immer seltener nach Hause, wo sie ihr Futter mit anderen Samtpfoten hätte teilen müssen. Zudem war Tina oft bei der Arbeit und hatte keine Zeit, sich um die Griechin zu kümmern. Sie fand es sowieso viel interessanter, alleinige Katze zu sein und folgte eines Tages Kurt, der in seine Wohnung im zweiten Stock hochging. Er wollte die Katze nicht reinnehmen, denn er wusste, dass sie dann nicht mehr nach Hause gehen würde.
Doch es blieb beim Gedanken, denn Samena setzte sich kurzerhand vor Kurts Haustüre und schrie aus Leibeskräften. "Lass mich rein, Kurt, gib mir noch etwas Leckeres". Er versuchte mit allen Mitteln, die Katze zu beruhigen und draussen sitzen zu lassen, doch sobald die Türe geschlossen wurde, begann der Katzengesang von neuem. Es war eine Nervenprobe, doch Samena gewann das Duell. Sie hatte mehr Ausdauer im Schreien als Kurt Nerven. Schlussendlich blieb ihm nichts anderes übrig, als Samena den Zugang zu gewähren, sonst hätte sie noch stundenlang vor der Hautüre geschrien. Aus der einstigen Begegnung im hohen Gras wurde eine tiefe und innige Freundschaft. Samena lebte fortan in zwei Wohnungen, bei Kurt und bei Tina. Je nach Wetterlage und Laune entschied sie sich für das eine oder andere Heim. Aussenstehende konnten nicht mehr erkennen, ob Samena bei Tina lebte und bei Kurt zu Besuch war oder umgekehrt. Man sah die kleine Katze eigentlich immer, wie sie zwischen den beiden Wohnung hin- und herpendelte.
Miezi bei der Arbeit
Bei Tina lebte auch noch Miezi, der Kater des Hauses. Er
hatte einen schwierigen Job, denn er musste sein Harem bewachen, auch wenn er
der kleinste von allen war. Nächtelang sass er vor der Katzentüre und hielt
Ausschau nach feindseligen Eindringlingen. Entdeckte er einen Fremden, begann
sein Höllengesang. Dieser war so durchdringend und grauenhaft, dass der andere vor
lauter Angst die Flucht ergriff. Der Angreifer konnte ja nicht ahnen, dass
hinter der Katzentüre ein Winzling von Kater sass. Durch das kleine Loch sah
man nur zwei feindselige Augen. Mit dieser Taktik hatte er grossen Erfolg. Es
war zwar anstrengend, die Wohnung von Fremden sauberzuhalten, dafür waren ihm
seine Katzendamen dankbar. Er war ein sehr tapferer Kerl, stellte sich jedem in
den Weg, selbst dann, wenn dieser doppelt so kräftig war. Ab und zu kam der
kleine Kater mit einer Bisswunde nach Hause. Kaum war das Blut weggewischt und
der verletzte Miezi beruhigt, rannte dieser aber schon wieder hinaus, um eine neue
Attacke abzuwehren. Er musste sich seine Freundinnen verdienen und sich manche
Nacht um die Ohren schlagen. Während andere Katzen durch Felder und Wiesen
streiften, war Miezi an der Arbeit. Seine Ohren hörten das noch so leiseste Geräusch,
und er konnte an den Schritten erkennen, ob eine seiner Katzen nach Hause kam
oder ein Fremdling versuchte, an den Futternapf zu gelangen.
Nur einmal hatte er versagt, da war er machtlos. Er konnte
die schöne Djamila nicht beschützen und musste tatenlos zusehen, wie sie
geraubt wurde.
Keine Rettung für Djamila
Djamila war eine kleine Tigerkatze, gerade mal 15 Monate
alt. Sie kam als winziges Baby ins Katzenhaus. Tina hatte sie auf einem
Bauernhof entdeckt und mitgenommen. Die Leute waren
froh, dass sie das kleine Kätzchen mitnahm, denn es ging ihr nicht so gut. Tina
hatte grosse Mühe, das kleine Kätzchen durchzubringen. Sie war krank und
vollkommen verwurmt. Es dauerte ein paar Wochen, bis aus der kranken Djamila
eine wunderschöne Tigerkatze wurde. Sie bekam jeden Tag bittere Medizin.
Allmählich wurde sie gesund. Ihr Fell glänzte wieder tadellos. Sie war das, was
man
gestromt nennt. Ihre Tigerzeichnung bestand aus breiten schwarzen Streifen. Um die Augen trug sie einen weissen Strich, als sei sie geschminkt worden. Nachts lag sie eigentlich immer auf Tinas Bett und schnurrte ihr in die Ohren. Sie liebte es, an Tinas Seite zu schlafen. Dies war ihr viel wichtiger als das Treiben vor dem Haus. Als Djamila ins Flegelalter kam, änderte sich alles. Sie verbrachte die Nächte vorwiegend draussen. Allerdings ging sie nie weit weg. Oft sah man sie hinter dem Haus auf dem Katzenbaum liegen und die Igel beobachten. Alle zwei Stunden schaute sie mal rein, ob drinnen noch alles in Ordnung war.
Eines Morgens war sie verschwunden. Tina fand nur noch einen Büschel Haare vor der Katzentüre. Erst dachte sie, Djamila hätte vielleicht Streit gehabt und sei davongelaufen. Doch als sie auch am zweiten Tag nicht erschien, machte sie sich Sorgen. Sie informierte das Tierfundbüro und hängte in der ganzen Umgebung Suchmeldungen auf. Sie war vollkommen schockiert, als das Tierfundbüro ihr erklärte, dass in ihrer Region mehrere Katzen als vermisst gemeldet waren. Auch in der Nachbarschaft wurden noch andere Tigerkatzen vermisst. Sie nahm mit allen Besitzern Kontakt auf und erfuhr immer das gleiche. Die Katzen waren weg und niemand hatte etwas gehört oder gesehen. Obwohl die Katzen mit Adressanhänger, Tätowierung oder Mikrochip gekennzeichnet waren, blieben sie verschwunden. Selbst im Internet fand sie zahlreiche Vermisstmeldungen aus der Region. Es wurden ausschliesslich Tigerkatzen und schwarze Tiere vermisst. Sie zählte bereits 21 Katzen, die in ihrem und den Nachbarsdörfern vermisst wurde. Alle waren junge Tiere, zwischen ein und zwei Jahre alt. Nun war Tina klargeworden, man hatte ihr Djamila geraubt. Für sie stand fest, dass Pelzhändler unterwegs waren, wieso sonst wären nur Tigerkatzen abhanden gekommen.
Erst war Tina schockiert und traurig, dann wuchs in ihr eine unsagbare Wut. Wie konnte man Haustiere einfach rauben? Was hatte man mit den unschuldigen Kätzchen angestellt? Wie kann jemand nur so dreist sein, ein Tier direkt vor der rettenden Katzentüre einzufangen? Tina konnte nachts nicht mehr schlafen. Sie hörte jeden Schritt vor der Türe und beobachtete jeden Lichtschein in der dunklen Nacht. Die Nächte wurden für sie zum Tag. Sie war wacher denn je. Sie suchte über die Polizei und Gemeinde Rat, doch blieben Tür und Ohren verschlossen. Niemand wollte ihr glauben, dass Pelzhändler unterwegs waren. Sie wurde als hysterische Tierfreundin abgestempelt. Sie war ratlos und wütend. Doch sie liess nicht locker und kontaktierte den Tierschutz. Dort erfuhr sie, dass es dieses Jahr tatsächlich eigenartige Vorkommnisse gegeben hatte. Mit Hilfe dieser Organisation wurde das Regionale Fernsehen aktiv. Eines Tages stand eine junge Dame vor der Türe, mit Kamera und Notizblock bewaffnet. Sie drehte einen Kurzbericht über das ominöse Verschwinden der Hauskatzen in dieser Region. Der Kurzfilm wurde einen Tag lang alle 30 Minuten ausgestrahlt und hatte tatsächlich seine Wirkung. Seit diesem Tag war Ruhe eingekehrt. Es gab keine Vermisstmeldungen mehr und die Besitzer konnten ihre Tiere wieder mit gutem Gefühl nach draussen lassen.
Für Djamila gab es allerdings keine Rettung. Sie blieb verschwunden. Nur Miezi wusste, was draussen geschehen war, denn er hatte den Raub beobachtet, als er hinter seiner Katzentüre sass. Vermutlich war es besser, dass Tina nie erfuhr, was sich effektiv abgespielt hatte. Sie liebte ihre kleine Djamila sehr und hätte es nicht verkraftet, das Tier leiden zu sehen.
Die Neue: Fehja
Anstelle von Djamila zog dafür Fehja ein. Im Internet war Tina auf eine Tierstation aufmerksam geworden. Dort wurden junge Katzen angeboten, die vor den Bauern gerettet wurden, die statt die Muttertiere zu sterilisieren einfach die Jungtiere töteten. Fehja hatte Glück, in der Auffangstation landen zu dürfen. Es war schön dort. Sie wurde gefüttert und mit Katzenmilch versorgt. Als Tina sich vom ersten Schock nach dem Verschwinden von Djamila erholt hatte, stattete sie der Station einen Besuch ab. Wenn sie überhaupt eine Katze aufnehmen würde, dann bestimmt keine Tigerkatze mehr. Sie war auf der Suche nach einer optisch ganz unattraktiven Katze. Diese würde bestimmt
nicht geraubt werden, davon war sie überzeugt. Ihre Wahl fiel auf eine Schildpatt-Katze, die ihrer Smokie sehr ähnlich sah. Viele Freunde, die bei ihr zu Besuch waren, fanden Smokie kein schönes Tier. Alle fanden zwar Smokies knallgrüne Augen unübersehbar, doch sonst fand man sie nichts Besonderes. Sie war schlicht eine braune Katze ohne Besonderheiten. Dies war für Tina ein Beweis, dass sie für Tierfänger uninteressant wäre.
Eines schönen Tages stand sie dann in der Auffangstation und sah die vielen kleinen Katzenbabies. Sie verliebte sich sofort in Fehja. Diese sass noch immer in einem Gehege, winzig klein mit herausstehenden knallblauen Augen. Natascha, die Stationsleiterin, erklärte ihr, dass Fehja noch nicht über den Berg war. Seit der Entwurmung verweigerte sie jegliches Futter. Ihr Fliegengewicht war nicht gerade förderlich für die Heilung. Es ging mit dem Kätzchen bergab statt bergauf. Dennoch wollte Tina das Katzenkind haben. Sie war bereit, auf ein Wunder zu warten. Es dauerte viele Tage, an denen Tina hoffte, dass das kleine Katzenbaby gesund würde. Und dieses Wunder geschah. Als habe Fehja gespürt, dass ein Zuhause auf sie wartete, begann sie zu fressen. Innert einer Woche war sie für den Transport Richtung Norden bereit. Sie zog bei Tina und ihrer Katzenfamilie ein.
Natürlich konnte sie nie den Platz von Djamila einnehmen, denn jedes Tier ist eine eigenständige Kreatur mit eigener Geschichte und eigenem Charakter. Eine Verbindung war jedoch von Anfang an vorhanden. Fehja liebte den Platz auf Tinas Bett genauso wie ihn Djamila geliebt hatte. Auch sie legte sich jede Nach neben ihren Menschen. Da das kleine Kätzchen seine Mutter sehr jung verlassen hatte, blieb ihm eine Unart. Fehja begann am Pullover zu saugen, den ihr Tina als Liegeplatz hingelegt hatte. Und diese Eigenheit blieb ihr erhalten. Noch als ausgewachsene Katze legte sich Fehja auf ihren Schmusepullover und nuggelte sich in den Schlaf. Aus dem hässlichen Entlein war eine zauberhaft schöne Katze geworden. Auch sie war, wie Samena und Tasja, eine Dreifarbige. Ihre Farben waren aber nicht blass wie die von Tasja. Sie waren kräftig und mit einem starken Tigermuster versehen. Die Zeichnung über ihren Kopf verlieh ihr auch noch als ausgewachsenes Tier etwas Kindliches. Ihr Gemüt war sanft, und sie liebte es, liebkost zu werden. Fehja war eine ausserordentlich brave Katze, die nie etwas zerbrochen oder zerbissen hatte. Sie war ein Tier, wie man es sich wünschte und brachte viel Sonnenschein in Tinas Haus. Mit Fehjas Hilfe konnte Tina die offenen Wunden über Djamilas Verschwinden heilen. Sie musste einsehen, dass man gewisse Dinge so nehmen muss wie sie sind, auch wenn man mit Schmerzen daran denkt. Des einen Freud, des andern Leid. Für Fehja war ein Türchen aufgegangen. Tasja nahm die Kleine ohne Wenn und Aber auf und erklärte ihr alles. Sie war die Ersatzmutter, die sich liebevoll um das Kind kümmerte. Und Fehja liebte sie. Tasja war in ihrer neuen Aufgabe aufgegangen und ruhiger geworden. Sie liess Smokie in Ruhe, jagte sie nicht mehr kreuz und quer durch den Garten. Stattdessen kümmerte sie sich vorbildlich um den Neuzugang.
Und Miezi sass noch immer Nacht für Nacht an der Katzentüre. Nun gab es eine Katzendame mehr in seinem Harem, die er beschützen musste.
Verliebt in Shiva
Auch Simba hatte gelernt, kleine Katzenbabies in Ruhe zu lassen. Auch wenn er sonst ein recht wilder Kater war, mussten die Kätzchen keine Angst vor ihm haben. Es war nur seine raue Schale, die ihn so wild erscheinen liess. Im tiefsten Innern war Simba ein lieber Kerl, der niemandem etwas Böses antun würde.
An einem schönen Tag, als Simba bei Tina sein Schnäuzchen tief in den Futternapf steckte, hörte er ein leises Piepsen. Hatte er sich verhört? Das konnte unmöglich eine Maus sein. Er hielt inne, stellte seine Ohren in der Richtung, aus der das Geräusch gekommen war. Jetzt, jetzt hatte er es wieder gehört. Er liess den Futternapf links liegen und ging langsam durch das Wohnzimmer. Seine Ohren waren weit geöffnet und drehten sich rechts und links. Sein Blick war aufmerksam und voll konzentriert. Wieder hörte er ein zaghaftes Piepsen. Da sah er es, ein Graupelzchen. Es war ein äusserst kleines Tier, nicht viel grösser als eine Feldmaus. Er entdeckte Shiva, das Katzenbaby. Sie
war vor wenigen Tagen zu Tina gekommen. Es war Liebe auf den ersten Blick gewesen. Tina konnte dem kleinen Wesen nicht widerstehen. Sie hatte das Kätzchen im Internet entdeckt, auf der Homepage, dank der auch schon Fehja den Weg zu Tina gefunden hatte. Sie wollte keine zusätzliche Katze mehr, das Haus war voll. Doch diesem Baby konnte sie nicht mehr den Rücken kehren. Wieder einmal sagte der Verstand "nein" und das Herz "ja". Shiva zog in Tinas Katzenhaus ein. Das kleine Ding war nicht grösser als ein Handy, wog beim Einzug gerade mal 340g. Shiva war ein Winzling und für ihre sieben Wochen eindeutig zu klein. Sie
würde aufholen müssen, denn andere Katzen in ihrem Alter brachten das Doppelte auf die Waage. Aber dafür war sie zauberhaft und unkompliziert. Sie legte sich schon während der langen Fahrt auf Tinas Brust und schnurrte zufrieden. Tagsüber durfte sie mit Tina zur Arbeit. Sie war noch zu klein, als dass man sie hätte alleine daheim lassen können. Im Büro gefiel es ihr gut. Sie bekam ein Stoffhaus, in dem sie schlafen konnte, ein Kistchen, in dem sie ihr Geschäft verrichten sollte und zahlreiche Spielsachen, mit denen sie herumtoben konnte. Natürlich war sie im Geschäft das Dauergespräch. Alle kamen sie besuchen, wollten das kleine Katzenbaby auf den Arm nehmen. Etliche Hände streichelten sie und von überall bekam sie Leckerbissen. Sie war zum Mittelpunkt aller Mitarbeiter geworden und freute sich jeden Morgen, wenn Tina sie ins Auto hob. Sie wusste schon, dass die Fahrt nicht lange dauern würde und verhielt sich im Auto vorbildlich. Es gab kein Miauen, kein Kratzen und kein Toben. Sie sass auf dem Nebensitz in ihrem Stoffhaus und schnurrte. Sie spürte Tinas Liebe, die sie dem Kätzchen entgegenbrachte und wusste, dass sie es gut haben würde. Tina konnte ihr jeden Wunsch von den Augen ablesen. Etwas bedenklich war zwar die Ruhe, die Shiva in sich trug. Setzte man sie irgendwo hin, blieb sie unbeweglich sitzen. Sie war viel zu ruhig, das war schon fast unheimlich. Tina kannte das Temperament, das junge Katzenbabies hatten, doch Shiva war ganz anders. Sie war dermassen ruhig, dass Tina Angst bekam, dass sie vielleicht krank sei.
Mit Shiva war aber alles in Ordnung. Sie war einfach zu zierlich und noch viel zu jung. Die Menschen waren aus Shivas Sicht Fleischberge. Sie wusste, dass sie leicht verletzt werden könnte, wenn man sie übersah. Deshalb blieb sie ruhig sitzen, bis irgendeine Hand kam, die sie hochnahm. Sie war so schmächtig, dass sie in einer geöffneten Hand schlafen konnte. Auf dem Heimweg ging Tina oft einkaufen. Da sie den Minitiger nicht einfach alleine im Auto lassen konnte, nahm sie Shiva kurzerhand mit in den Laden. Das Kätzchen lag auf Tinas Hand und verhielt sich mucksmäuschenstill. Hätte sich Tina bei ihrem einhändigen Einkauf nicht so ungeschickt angestellt, hätte niemand Shiva entdeckt, die auf Tinas Hand lag und schlief. Auf diese Weise lernte Shiva ihre Futterquellen vor Ort kennen. Im Tierladen durfte sie sogar in die bewohnten Käfige schauen. Dort entdeckte sie die lustigen Degus, die miteinander spielten. In diesem Geschäft duftete es wunderbar, hier gefiel es ihr ausgezeichnet. Während Tina das Geld aus der Geldbörse zusammensuchte, sass Shiva auf dem Rollband und schaute sich um. Sie wusste, dass es bald warme Katzenmilch geben würde und freute sich darauf, in Tinas Bett zu schlüpfen.
Am besagten Abend sass Simba vor ihr. Welch grosses Tier, welch edler Pelz. Shiva hatte Angst vor ihm. Er war so gross und irgendwie unheimlich. Er sass nur da und schaute ihr zu. Was wollte er von ihr? War er ihr wohlgesinnt? Er beobachtete sie, wie sie mit ihrem Stoffmäuschen spielte. Er schaute ihr genauso zu wie er es bei seinen Kindern machte. Tina sass auf einem Stuhl zwischen dem ungleichen Paar und passte auf, dass Simba nicht plötzlich auf die Kleine losging. Lange sass er unbewegt, seine Ohren und Schnauzhaare zu Shiva gerichtet. Auf einmal entspannte sich sein starrer Blick und er legte sich ruhig hin. Er schloss die Augen, doch seine Ohren bewegten sich noch immer. Er hörte Shiva zu, wie sie mit ihrem Ball spielte. Der Bann war gebrochen, Tina brauchte keine Angst zu haben. Simba würde das Katzenmädchen in Ruhe lassen.
Aus der winzigkleinen Shiva wuchs schon bald eine junge wunderschöne Katze. Es dauerte recht lang bis sie ihren Babypelz abgelegt hatte und die richtigen Haare nachwuchsen. Mit jeder Woche veränderte sich ihr Aussehen. Erst war sie hellgrau, nun wuchsen dunkelgraue Haare nach. Mit jedem Gramm, das sie mehr auf die Waage brachte, steigerte sich auch ihr Temperament. Nach wenigen Wochen konnte man kaum mehr glauben, dass Shiva mal so ruhig dagesessen hatte. Sie tobte durch das Wohnzimmer und wenig später auch quer durch den Garten. Kein Baum war ihr zu hoch. Sie hatte überhaupt keinen Respekt vor den anderen Katzen. Oft biss sie Tasja oder Fehja, die an ihr vorübergingen, kurzerhand ins Bein. Dies sollte eine Aufforderung zum Spiel sein. Tasja fand das allerhand, und Shiva kassierte eine Ohrfeige.
Bei Fehja hatte sie mehr Erfolg. Sie war ja selber noch ein junges Tier, gerade mal ein Jahr alt. Sie fand es super, mit Shiva durch die Wohnung zu rennen. Die Kleine war überhaupt süss, hübsch und lieb. Sie mochte das Baby sofort. Von Anfang an blieb sie bei Shiva. Sie legte sich dicht zu ihr und leckte ihr mit ihrer rauen Zunge den Pelz sauber. Manchmal brachte Smokie eine Maus nach Hause, doch weder Fehja noch Shiva wussten was anzufangen mit dem zappelnden Graupelzchen. Sie hatten nie gelernt, Mäuse zu fangen, und Tina vermisste diese Eigenschaft überhaupt nicht. Sie hatte schon zu oft halbtote Mäuse rausgetragen oder verstorbene entsorgt.
Als Shiva etwas grösser geworden war, durfte sie mit Fehja nach draussen. Sie tobten kreuz und quer durch den Garten und untersuchten jeden Winkel. Da Tinas Wohnung am Hundespazierweg lag, hatte sie etwas Angst vor den grossen Hunden. Die kleine Shiva war zwar flink, doch hätte sie mit ihren kurzen Beinen nicht schnell genug wegrennen können, wenn sie ihn Not geraten wäre. Trotzdem sah man sie vor und hinter dem Haus. Die Nachbarn und vor allem die Kinder hatten grosse Freude an der zauberhaften Shiva. Alle wollten mit ihr spielen. Dennoch liess Tina sie nicht aus den Augen. Nachdem sie Djamila verloren hatte, war sie vorsichtiger geworden. Sie wollte nicht schon wieder eines ihrer geliebten Tiere verlieren.
Nachdem Shiva sie vier Wochen lang ins Geschäft begleitet hatte, war es an der Zeit, Shiva ihre Freiheit zu geben. Sie durfte nun unter der Woche zu Hause bleiben, bei Fehja und den anderen Katzen. Tina war beruhigt, denn sie sah ja, dass Fehja wunderbar auf ihre kleine Schwester aufpasste. Wenn sie zu weit wegging, lief sie hinterher und lotste sie wieder nach Hause.
Umso erstaunlicher war es, als Tina an einem Freitagabend nach Hause kam und nur noch Fehja vorfand, Von Shiva fehlte jede Spur. So blieb es auch in der Nacht. Die Stelle, an der das Katzenbaby normalerweise lag, blieb leer. Tina konnte nicht schlafen. Sie lag zwar im Bett, doch hörte sie jedes Geräusch. Sie zählte die Minuten und die Sterne am Himmel. Unzählige Male stand sie auf und kontrollierte, ob Shiva sich nicht doch irgendwo versteckt hatte. Sie öffnete jede Schranktür, sogar den Kühlschrank untersuchte sie. Das konnte doch nicht sein, dass die Katze verschwunden war. Ihre Nervosität stieg. Sie malte sich aus, was wohl alles passiert sein könnte. In den letzten Jahren hatte sie viele schlechte Erfahrungen gemacht, die ihre Furcht noch verstärkten. Wo könnte das kleine Wesen nur sein, was ist ihm wohl zugestossen? Sie sah in Gedanken das Kätzchen vor sich, wie es irgendwo eingesperrt war und sich die Lunge aus dem Leib schrie. Dann sah sie es wieder unter einem Busch liegen, verletzt und verloren. Oder sass es wohl ganz oben auf dem Baum und konnte nicht mehr runter? Grauenhafte Gedanken gingen ihr durch den Kopf. Wo war Shiva geblieben? Was war ihr zugestossen?
Als der Morgen kam, lag Tina noch immer wach im Bett. Sie fühlte sich, als ob sie einen Marathon gelaufen war, erledigt und müde. Ihre Nerven lagen blank, das ungute Gefühl war der Panik gewichen. Nun musste sie etwas unternehmen, sie konnte doch nicht nur einfach warten. Doch wo sollte sie denn auch anfangen? Sie machte sich auf den Weg in den Park, schaute unter jedes Gebüsch und auf jeden Baum. Sie spazierte durch die Ueberbauung und fragte jeden, der ihr begegnete, ob er die Kleine gesehen hatte. Alle Nachforschungen blieben ohne Erfolg. Shiva war spurlos verschwunden.
Da entdeckte sie auf dem Sitzplatz einen handgrossen braunen Fleck. Dieser war neu, sonst hätte sie ihn am Vortag bereits gesehen. Er befand sich direkt unter der Brüstung der oberen Wohnung. Ihr Herz begann wild zu hämmern. War Shiva wohl in den zweiten Stock geklettert und runtergefallen? Sie schaute entsetzt auf den grossen Fleck und dann wieder hoch in die oberen beiden Etagen. Das durfte doch nicht sein, wie konnte so was nur passieren? Die Nachbarn wussten nichts über einen solchen Vorfall, doch konnten sie sich den eigenartigen Fleck auch nicht erklären. Oder war wohl ein Hund in ihren Garten eingedrungen und hatte Shiva angefallen? Wollte der Besitzer es vertuschen und hat die Spuren so gut es ging weggeputzt? Alles war möglich, es gab zahlreiche Versionen. Immer wieder begutachtete Tina den Fleck auf den Betonplatten. Woraus war er wohl? War es Blut oder einfach nur Schmutz? Sie hatte keine Erklärung, war verzweifelt.
Dennoch suchte sie weiter. Es gab ausser dem Fleck keinen Hinweis, dass ihrer Shiva etwas passiert war. Sie verbrachte den ganzen Tag damit, ihr Katzenbaby zu suchen, doch Shiva war weg. Am Abend schrieb Tina eine Suchmeldung. Sie hatte viele Fotos ihrer Kleinen gemacht und konnte diese nun bestens brauchen. Die Zettel hing sie auf vor ihrer Wohnung und in der nächsten Umgebung.
Dann setzte sie sich in den Garten und konnte die Welt nicht mehr verstehen. Wieso hatte sie kein Glück mit Katzenkindern? Kaum waren sie da, verschwanden sie wieder. Sie war unsagbar traurig und fühlte sich mehr als elend. Die Spuren der letzten Nacht zeichneten ihr Gesicht.
Sie hörte das Läuten nicht, war in ihren traurigen Gedanken versunken. Als sie sich umsah, stand eine fremde Frau hinter ihr, begleitet von zwei Kindern. In ihren Armen hielt sie Shiva, die friedlich schlief.
Den Stein, der von Tinas Seele plumpste, hörte man um die ganze Welt. Tina starrte auf die Familie und ihre kleine Shiva, die friedlich in den Armen der fremden Frau schlief. Nun war der Nervenkrieg zu Ende und Tinas Welt war wieder in Ordnung. Sie hatte ihre Shiva wieder, unversehrt und wohlauf. Im ersten Moment war sie gar nicht aufnahmefähig. Erst Minuten später erfuhr sie, dass Shiva im Hinterhaus schreiend vor einer Türe gesessen und Tina gesucht hatte. Die Nachbarin hatte das schreiende Katzenbaby aufgenommen und versorgt. Sie hatte selber eine Katze und war geübt im Umgang mit Tieren. Sie wusste nicht, wem das Kätzchen gehörte, hatte das drollige Wesen bisher auch noch nie gesehen. Sie wollte sich so bald als möglich nach der Besitzerin erkundigen. Da sich Tina und diese Frau nicht kannten, kreuzten sich ihre Wege auch nicht. Erst als diese die aufgehängte Suchmeldung gesehen hatte, war ihr klar, wohin das Kätzchen gehörte und brachte es zu Tina zurück.
Nicht nur Tina, auch Fehja und die anderen Katzen waren glücklich, dass Shiva wieder daheim war. Sie beschnupperten sie ausgiebig und leckten ihr die Ohren sauber. In dieser Nacht schlief Tina so gut wie schon lange nicht mehr. Shiva rollte sich wie immer an Tinas Schulter. Sie suchte den Kontakt, legte ihre kleinen Pfötchen auf Tinas Oberarm und schnurrte ein Gutnachtlied. Doch Tina war derart müde, dass sie nur die ersten drei Töne hörte. Dann war sie in einen Tiefschlaf versunken. Sie musste die Schrecken der letzten Stunden vergessen und den Schlaf nachholen, den sie in der letzten Nacht nicht gefunden hatte.