Prolog
Buch 6
Wer sein Tier schon mal vermisst hat, der weiss, wie sehr man leiden kann. Am Anfang sind wir noch überzeugt, dass die Katze sicher nur einen längeren Ausflug gemacht hat, dass sie am nächsten Tag bestimmt wieder vor der Türe steht. In der Nacht wachen wir mehrmals auf. Jedes Mal, wenn die Katzentüre ihr bekanntes „Klick“ von sich gibt, stehen wir auf und schauen nach, ob sie vielleicht nach Hause gekommen ist. Der erste Gedanke nach dem Aufwachen ist „Ist sie da?“ Wir schauen in jedes Zimmer und hoffen insgeheim, dass sie irgendwo liegt und schläft. Wie gross ist dann die Enttäuschung, wenn ihr Lieblingsplatz leer ist, der Futternapf dafür noch unberührt. Wir reden uns selber gut zu und wollen überhaupt nicht daran denken, dass wir vielleicht nie erfahren, was mit unserem Liebling passiert ist. Aber wir geben die Hoffnung nicht auf. Wir suchen weiter, halten die Augen offen.
Nach ein paar Tagen der Selbsttäuschung sind wir unserer Sache nicht mehr ganz so sicher, dass die Vermisste von alleine wieder kommt. Dann brauchen wir die Hilfe von Nachbarn und Menschen, die ihre Augen offen halten. Wir platzieren eine Suchmeldung im Internet und hängen Flyer in der Nachbarschaft auf. Die Kontrolle der Fundmeldungen auf der Homepage der offiziellen Tierfmeldestelle gehört fortan zur täglichen Aufgabe.
Auch Monate später ist die Suche nach der Vermissten immer gegenwärtig. Auch wenn wir es nicht zugeben, schauen wir hinter jede Hecke und über jedes Feld. Wie oft habe ich schon mit dem Auto irgendwo angehalten und meinen Blick in einen Garten schweifen lassen, wo gerade eine Katze verschwunden ist.
Wir wollen einfach nicht wahrhaben, dass uns ein Wesen verlassen hat, das wir geliebt und umsorgt haben. Besonders schlimm ist es, da wir gar nicht wissen, was passiert ist, ob es einen Unfall hatte, eingesperrt ist oder uns einfach verlassen und sich ein anderes Zuhause gesucht hat. Diese Ungewissheit zehrt an uns und lässt uns nicht zur Ruhe kommen.
Wenn das Tier bei uns daheim verschwindet, können wir noch hoffen, dass es irgendwann allein den Heimweg findet oder wir aus der Nachbarschaft etwas über seinen Verbleib erfahren. Geht die Katze aber in den Ferien oder auf Reisen verloren, sinkt die Chance, dass wir sie je wiedersehen. Da nützt auch ein Chip nur wenig, da viele Leute gar nicht wissen, dass es so etwas gibt. Viele Finder lassen das Fundtier nicht auf einen allfälligen Chip kontrollieren, da man dafür extra zum Tierarzt fahren muss. Auch ein Halsband mit Adressanhänger ist keine Garantie dafür, dass der Besitzer erfährt, wo seine Katze ist. Halsbänder können reissen oder abgestreift werden. Adresshülsen gehen auf und verlieren damit Sinn und Zweck. Es gibt etliche Möglichkeiten.
Mindestens ist es heute so, dass es Pflicht eines Finders ist, das Fundtier bei der offiziellen Tierfundstelle zu melden. Doch wenn er dieses Gesetz ignoriert, ist die Chance minim, dass wir unseren Liebling irgendwann wiedersehen. Selbst wenn der Finder mit dem Tier eines Tages zum Tierarzt muss, ist noch nicht sicher, ob dieser die Katze wirklich auf einen Chip kontrolliert.
Manchmal ist es auch erstaunlich, wie schwierig es ist, ein Tier zu beschreiben. Man liest im Text einer Fundmeldung, dass eine weisse Katze gefunden worden ist. Abgebildet ist ein schwarzes Tier mit wenig Weiss. Auch die Begriffe „alt“ und „jung“ sind nicht klar definiert, geschweige denn „Kurz- oder Langhaar“. Es ist tatsächlich nicht einfach, einen Brauntiger von einem Grautiger zu unterscheiden. Selbst ich musste vor wenigen Monaten weit fahren, um einen Kater vor Ort anzuschauen, der vom Foto her einer meiner vermissten Katzen aufs Haar glich.
Wer sich schon mal mit diesem Thema befasst hat, der kann mitfühlen. Es ist einfach unbegreiflich, wie viele Tiere (besonders Katzen) als vermisst gelten. Das Internet ist voll mit Suchmeldungen. Auf der anderen Seite gibt es Hunderte von Fundmeldungen, wo sich tage- und wochenlang niemand meldet. Werden diese Tiere denn gar nicht vermisst oder sind sie schlicht und einfach ausgesetzt worden?
Ich habe in meiner Zeit als Katzenliebhaberin beide Seiten erlebt, war Finderin und Suchende. Es ist für mich noch immer unbegreiflich, dass Tierhalter zwar die Möglichkeit und Mittel zur Verfügung haben, ihr Tier zu suchen oder ein Fundtier zu melden, es aber schlicht und einfach nicht tun. Ist es Bequemlichkeit oder einfach nur Gleichgültigkeit dem Leben gegenüber? Es ist ja nicht nur der Besitzer, der im Ungewissen ist. Wir bestimmen hier über ein Lebewesen und sein Schicksal. Oft ist es selber gar nicht schuld daran, dass es verloren gegangen ist und auf die Hilfe von uns Menschen angewiesen.
Und trotz unglaublich vielen vermissten Tieren finden wir immer wieder einzelne Erfolgsmeldungen. Wenn ein Tier nach Hause gebracht wird und von seinem glücklichen Besitzer wieder in die Arme geschlossen wird, geht ein neuer Stern am Himmel auf.
Dieses Buch erzählt die Geschichte von Verlorenen, die den Weg nach Hause suchen. Wenn sie zum Himmel schauen, sehen sie die vielen Sterne. Diese weisen ihnen den Weg und geben ihnen Hoffnung, dass sie eines Tages wieder ein Zuhause haben werden.