Negi
Buch 5
Negi
Auch Negi war eine schwarze Katze. Sie lebte in der Innerschweiz auf einem Bauernhof. Leider war ihr Herrchen ein unberechenbarer Kerl. Manchmal war er recht gut zu seinen Katzen, dann wieder aggressiv und böse. Sie verschwanden meistens, wenn sie ihn über den Hof stapfen sahen. Er machte ihnen Angst. Zudem mussten sie ihr Futter selber suchen. Er dachte nicht daran, die Katzen auf seinem Hof zu füttern.
Negi wurde schon wieder trächtig. Wie auf den meistens Bauernhöfen wurde über das Thema "Kastration" nicht gesprochen. Der Tierschutz organisierte zwar vorbildliche Aktionen, doch die Bauern lösten die Gutscheine nicht ein, die ihnen der Tierschutz geschickt hatte und mit denen sie ihre Tiere hätten operieren lassen können. Aus diesem Grund vermehrten sich die Katzen immer wieder. Wenn die Bauern auch gerne Katzen als Mäusejäger hielten, wurden ihnen die vielen Jungtiere unangenehm. Sie töteten viele von ihnen. Die Muttertiere wussten genau, was die Bauern vorhatten, wenn sie durch die Ställe schlichen und Ausschau nach Nestern hielten. Sie brachten ihren Nachwuchs in Sicherheit, trugen ein Junges nach dem anderen in einen dunklen Winkel, wo man sie nicht finden konnten. Trotzdem wurde der Bauer oftmals fündig und brachte die Kätzchen einfach um.
Für die Katzenmütter war dieser Zustand unerträglich. Die Natur war so stark, dass sie ständig wieder trächtig wurden. Und dann begann der Kampf um das Leben des Nachwuchses von vorne. Manchmal kam Natascha vorbei. Sie holte die geretteten Jungtiere ab und brachte sie an einen sicheren Ort in ihre Auffangstation. Dort durften sie ohne Angst leben, wurden gefüttert und tierärztlich versorgt. Wie die meisten Katzenbabies hatten sie mit der Futterumstellung, Würmern oder Augenentzündungen zu kämpfen. Natascha war ausgebildete Tierarzthelferin und hatte die nötige Ausdauer, um den vielen Kätzchen zu helfen. Meistens gab es bei Natascha auch noch Ammen, bei denen die ganz kleinen Katzenbabies noch Muttermilch trinken konnten. Wenn sie so weit waren, wurden sie an Familien abgegeben, an denen sie es gut haben sollten.
Auch an diesem schönen Sommertag kam Natascha beim Bauernhof vorbei. Er hatte sie gerufen, da er schon wieder junge Kätzchen entdeckt hatte. Sie trug eine Transportkiste bei sich, in der sie die Kätzchen legen wollte. Negis Schwester hatte schon wieder Katzenbabies bekommen. Der Bauer war sauer. Er war froh, dass Natascha endlich kam und ihn von dieser Katzenplage befreite. Natascha sah die Wut in seinen Augen. Es brachte nichts, wenn sie mit ihm reden würde. Sie kannte ihn, wusste genau, dass ein falsches Wort ihn zur Rage bringen könnte und die Katzen unter seinem Missmut leiden mussten. Er führte sie zum Katzennest, in dem vier junge Kätzchen lagen. Sie schätze sie auf etwa sechs Wochen. Negis Schwester sass da und schaute Natascha zu, wie sie eines nach dem anderen aus dem Nest heraus hob und in die Boxe legte. Sie spürte, dass es ihren Kindern nun besser gehen würde. Das letzte Tier, das sich noch im Nest befand, leckte sie von oben bis unten ab. "Mach es gut, Kleines", schnurrte sie dabei. Sie schaute Natascha nach, wie sie langsam zum Auto ging.
Als sie aus dem Stall kam, sah sie Negi. Die schwarze Katze sass eigenartig da draussen in der Sonne. Irgend etwas stimmte hier nicht. Das Tier schien grosse Schmerzen zu haben. Der Bauer lachte nur, als ihn Natascha darauf ansprach. "Ach, eine mehr oder weniger, das ist doch egal. Keine Ahnung, was dieser Teufel hat." Negi hörte die bösen Worte und wollte zurück in den Stall laufen. Doch das konnte sie nicht. Ihre hinteren Beine versagten. Sie konnte sich nur noch hinkend über den Boden schleppen.
Das war für Natascha zu viel. Sie packte Negi in die zweite Transportbox und nahm sie mit. Zwar war ihre Auffangstation ausschliesslich auf Jungtiere ausgerichtet, doch bei diesem Elend konnte sie nicht tatenlos zusehen. Daheim untersuchte sie das Tier vorsichtig. Dann brachte sie Negi zum Tierarzt. Dieser diagnostizierte einen Beckenriss und einen gebrochenen Schwanz. Er erklärte Natascha, dass Negi trächtig sei. In diesem Zustand konnte man das Tier nicht operieren. Es müsste also unter Schmerzen die letzten Schwangerschaftstage ausharren. Sie konnte sich vorstellen, wie Negi zu dieser Fraktur gekommen war. Diesen Bauern wollte sie im Auge behalten. So etwas durfte nicht noch einmal passieren.
Dafür bekam Negi genügend Schmerzmittel, damit sie die nächsten Tage und Wochen überhaupt überstehen konnte. Natascha veröffentlichte Negis Schicksal im Internet und bat um finanzielle Hilfe, damit man Negi nach der Geburt operieren könnte.
Viele Freunde von Natascha boten ihre Hilfe an. Es gingen einige Spenden ein, die Natascha in ihrer Aufgabe bestärkten. Als Natascha zwei Wochen später von der Arbeit kam, fand sie eine vollkommen erschöpfte Negi vor. Zwei winzige Katzenbabies lagen neben ihr. Das eine Kätzchen war schwarz wie die Mutter, das andere schwarz-weiss. Negi war froh, dass sie die schmerzhafte Geburt hinter sich hatte und nun bald auch von ihrem Hüftleiden erlöst werden könnte.
Wenige Wochen später wurde Negi operiert. Ihr gebrochener Schwanz musste amputiert werden, denn die Nervenbahnen waren derart in Mitleidenschaft gezogen worden, dass er nicht mehr richtig durchblutet war. Die Hüfte wurde geröntgt. Die Risse würden wieder zusammenwachsen. Hier war keine Operation mehr nötig. Um keine Jungen mehr zu bekommen, wurde sie sterilisiert. Auch wenn Negi nun fortan mit einem Stummelschwanz leben musste, war sie eine fürsorgliche Mutter. Sie umsorgte ihre Kleinen sehr gut, auch dann, als sie nach der Operation selber noch grosse Schmerzen hatte. Als ihre beiden Katerchen zwölf Wochen alt waren, zogen sie um. Sie durften zu Antina und Hansueli umziehen und sogar zusammen bleiben. Dieses Paar hatte Mitleid mit Negi gehabt und auch einen Teil an ihre Operationskosten bezahlt. Wie schön war es für alle Beteiligten, dass man Negi helfen konnte und ihre zwei Katerchen ein schönes Zuhause bekommen hatten.
Negi war - wie viele andere Katzen auch - von Thomas operiert worden. Lucky hatte sich zu ihr gesetzt, als sie aus der Narkose erwacht war. Mit einigen Tieren hatte er grosses Mitleid. Er wusste ja selber, wie schnell ein Unfall passiert war. Dann war man auf die menschliche Hilfe angewiesen. Er hatte damals das grosse Los gezogen, als er bei Thomas bleiben durfte, und freute sich immer, wenn eine traurige Geschichte ein Happyend nehmen durfte.
Da fiel Lucky plötzlich ein, dass er ja vor zwei Tagen wieder eine interessante Geschichte erfahren hatte. Das musste er gleich seiner Amira erzählen. Er drückte sich durchs Katzentürchen und rannte zum Block B. Dort sass seine Schöne bereits und wartete ungeduldig auf ihren Schatz. Wie immer, wenn er sie sah, war er in Hochstimmung. Er setzte sich vor den Zaun und begann mit der Geschichte.