Wohin die Liebe fällt - Luskas Bücher

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Wohin die Liebe fällt

Buch 3
 
Nicht schlecht staunte Tina, als eines Tages ein Kind aus der Nachbarschaft vor ihrer Türe stand. Es hielt ein Handy in der Hand mit dem Foto einer Katze. Auf dem schlechten Display war nicht viel zu erkennen. Sehr ungenau sah sie eine Tigerkatze mit einem weissen Gesicht. Das Kind suchte den Besitzer dieser Katze, denn das Tier lag schon seit einem Tag bei ihnen daheim auf dem Bett und machte keinerlei Anstalten, das Haus zu verlassen. Tina wusste nicht genau, ob es sich bei diesem Foto um Samena, Tasja oder Miezi handelte, denn der Bildschirm war tatsächlich sehr schlecht und dunkel. Alle in Frage kommenden Katzen waren mehrfarbig und hatten ein weisses Gesicht. Sie dachte nach, wo sie ihre Schützlinge das letzte Mal gesehen hatte. Es war ihr aber gar nicht aufgefallen, dass eines der Tiere fehlte. Deshalb entschloss sie sich kurzerhand, das Kind nach Hause zu begleiten. Sie wollte vor Ort sehen, um welche Katze es sich handelte. Unterwegs erzählte ihr der Junge, dass die Katze ausgestreckt unter ihrem Dach auf einem unbenutzten Bett lag und sich von ihm streicheln und liebkosen liess.
 

 
Tina folgte ihm ins Haus. Zusammen stiegen sie die Treppen hoch bis zum Zimmer unter dem Dach. Sie staunte nicht schlecht über das, was sie da oben antraf. Auf dem Bett lag, ausgestreckt, der wilde Simba. Es gefiel ihm dort ausgezeichnet, das war zu sehen. Er fühlte sich anscheinend wohl und sicher. Der Junge konnte Simba streicheln. Er liess alles mit sich geschehen und schnurrte zufrieden vor sich hin. Wo war die Scheu geblieben? Würde er nicht zuschlagen, kratzen oder beissen? Tina traute ihren Augen nicht, wie lieb und ruhig Simba da lag. Sie schaute dem Jungen zu, der Simba von oben bis unten streichelte. Es gab keine Tabuzonen und Simba teilte auch keine Hiebe aus. Simba war so friedlich wie nie zuvor. Jetzt konnte sie das schöne Tier endlich genauer betrachten. Nun war sie ganz sicher, dass Simba ein unkastrierter Kater war. Jetzt war auch garantiert sicher, dass es sich nicht um den vermissten Noel handelte, denn dieser war kastriert. Sie wusste nun definitiv, dass diese Katze kein Zuhause hatte. Simba hatte erstaunlicherweise keine Angst vor Kindern. Er erinnerte sich an die beiden, bei denen er aufgewachsen war, und die stets lieb zu ihm gewesen waren. Er liebte Kinderhände. Auf ihn hatten Kinder etwas sehr Beruhigendes, und er liess alles mit sich geschehen. Tina genoss es, Simba so entspannt und glücklich zu sehen. Dennoch konnte sie überhaupt nicht begreifen, wie so etwas möglich war. Es kamen ihr immer wieder die ersten Momente in den Sinn, als Simba bei ihr in der Küche ein Chaos verursacht hatte. Sie musste lächeln. Wer weiss, vielleicht würde Simba hier seinen Frieden und einen neuen Aufenthaltsort finden, vielleicht würde er in dieser Familie bleiben? Sie schaute Simba noch lange zu, wie er die Kinder genoss. Immer wieder schüttelte sie den Kopf. Wie war diese Wesensänderung möglich?
 

 
Simba blieb noch zwei Tage auf diesem Bett liegen. Im Erdgeschoss wohnten vier Katzen, und auch dort gab es gefüllte Futterschalen. Manchmal schlich er sich die Treppe hinunter, frass etwas und kletterte wieder in sein Gemach. Am dritten Tag ging er wieder nach Hause zu Tina.
 

 
Auf dem Heimweg streckte er sich ausgiebig. Schön war sein Ausflug gewesen, nett war es bei den Kindern, die ihn streichelten und mit ihm spielten. Wenn er Lust hatte, würde er nochmals hingehen. Er kannte ja nun den Weg und wusste, wie man sich ins Haus schleichen konnte. Die Kinder kannten jetzt seinen Namen und wussten, dass er niemandem gehörte. Tief in seinem Innern spürte er ein tiefes Verlangen nach Geborgenheit. Er war liebesbedürftig. Einerseits hätte er gerne einen Menschen gehabt, dem er gehörte, andererseits hatte er grosse Angst davor, wieder eingesperrt und misshandelt zu werden.
Heute war ein schöner Sommermorgen und etwas Eigenartiges lag in der Luft. Es roch nach einer Katze, die er kennenlernen wollte. Er streckte seine Nase in die Luft und ging dem Duft nach. Im Garten vor einem Einfamilienhaus entdeckte er sie. Sie sass hochaufgerichtet da und miaute leise. Er konnte sie genau erkennen. Sie war noch sehr jung und dreifarbig gefleckt. Noch immer miaute sie sanft. Sie rief ununterbrochen ins Nichts. Er konnte sich kaum sattsehen an ihr. Sie war wirklich eine 
schöne Katzendame, die, wie er, liebesbedürftig war. Die kleine Katzenlady war rollig und verbreitete einen Duft, dem er nicht widerstehen konnte. Als sie ihn sah, musterte sie den schönen Kater genau. Im Vergleich zu dieser zierlichen Katze war er riesengross, ein richtig bulliger Kerl. Mit seinen langen Haaren vermittelte er einen sehr edlen Eindruck. Sie suchte Gesellschaft, das war nicht zu übersehen und -hören und hatte mit ihrem Schreien anscheinend Erfolg. So ein Angebot liess sich Simba kein zweites Mal machen. Er wollte um ihre Gunst anhalten. Er schlenderte in ihre Nähe und begrüsste sie mit einem Nasenstüpfer. Aus der Nähe war sie noch schöner. Er spürte, dass sie bereit war, sich mit ihm anzufreunden. Bestimmt war sie das erste Mal in ihrem Leben rollig, denn sie war noch jung, zart und zierlich. Sie stellte sich mit ihrem Namen „Nemo“ vor. Simba war stolz, dass er der Auserwählte sein durfte. Er blieb bei Nemo, Tag und Nacht, umwarb sie mit allen Künsten der Verführung. Auch wenn sie ihm erst die kühle Schulter zeigte, spürte er genau, dass sie ihn liebte und begehrte. Sie wurde jeden Tag unruhiger und lauter. Ihre Rolligkeit nahm zu und am dritten Tag durfte Simba zu seiner neuen Freundin ins Körbchen steigen. Sie liebten sich Tag und Nacht, heiss und innig. Nach einer Woche war Simba körperlich erledigt. Er hatte die ganze Zeit fast nichts gefressen. Sein Pelz hing schlaff herunter, seine Reserven waren aufgebraucht. Nun war auch Nemo ruhiger geworden. Das Abenteuer war zu Ende, Simba verabschiedete sich von seiner jungen Freundin und schlich zu Tina zurück.

Diese war froh, als sie Simba unverletzt sah. Sie hatte Angst gehabt um ihn, denn er war seit Tagen nicht mehr nach Hause gekommen war. Auch die Nachfrage in der Nachbarschaft ergab nichts. Sie hatte erfahren, dass er schon vor Tagen das Bett unter dem Dach verlassen hatte. Wo war er wohl hingegangen? Nun war sie befreit von allen Sorgen und froh, ihn wiederzusehen. Es entging ihr nicht, dass Simba sehr dünn geworden war. Wo er wohl gewesen war? Sie hatte schon Angst, dass er auf seinen Streifzügen irgendwo eingesperrt worden war.

Ein paar Wochen später ging Simba seine Freundin Nemo besuchen. Sie lächelte ihm schon von weitem zu. Aus der zierlichen Nemo war in der Zwischenzeit ein trächtige Katzendame geworden, die bereits ein kleines Bäuchlein ihr Eigen nannte. Simba kannte das, denn seine Sereina hatte damals auch einen runden Bauch bekommen. Er freute sich auf den Tag, an dem ihm Nemo Kinder schenkte. Dieser Tag kam allerdings schneller als geplant. An einem schönen Frühlingstag brachte Nemo drei Kätzchen auf die Welt. Das eine war dreifarbig wie die Mama, das zweite fast vollkommen weiss mit Ausnahme von zwei schwarzen Flecken. Und das dritte, der kleine Frechdachs, war das Abbild des Vaters. In ihm war der Vater klar zu erkennen. Auch er trug das Tigermuster und hatte eine weisse Stirne. Wenn er dem Vater nachschlug, würde er ein Streuner werden.

Nemo war stolz auf ihre kleine Familie. Niemand hatte ihr gezeigt, wie man Kinder auf die Wellt bringt und sie hatte es ohne fremde Hilfe geschafft. Nun war sie stolze Mutter und hatte eine grosse Verantwortung. Sie musste den drei Kleinen zeigen, was 
sie als Katzen alles wissen müssen. Die erste Zeit verbrachte sie ausschliesslich im Haus. Dort hatte man ihr eine grosse Kiste aufgebaut mit einem Schlafhaus, in dem die ganze Familie Nemo wohnen konnte. 
Sie verbrachte die ganze Zeit bei ihren Kindern. Die ersten Wochen waren sehr anstrengend. Manchmal hatte sie den Eindruck, ihre Schützlinge seien unersättlich. Gott sei Dank hatte die Natur es gut mit ihr gemeint und ihr nur
drei Kinder geschenkt. Es gab genug Milch für alle drei und keines der Babies musste Hunger leiden. Die Familie, bei der Nemo mit ihren Babies wohnte, brachte ihr bestes Futter und schaute ausgezeichnet, dass es der Katzenfamilie gut ging.

Als die Kätzchen grösser wurden, durfte sie mit ihnen in den Garten. Stolz zeigte sie die Kinder der ganzen Nachbarschaft. Es gab in diesen neuen Häusern viele Katzen. Alle kamen der Reihe nach vorbei, um die neuen Kätzchen willkommen zu heissen. Nemo bekam von überall Lob für ihren Nachwuchs. Als auch Simba eines Tages bei ihr vorbeischaute, stellte sie den Kleinen ihren Papa vor. Sie war so stolz und glücklich. Sie schaute auf ihren Freund, der unter der Hecke hockte. Er kam langsam näher,
begrüsste seine Nemo mit einem Näschenkuss. Dann hockte er sich vor seine Babies und stellte seine Brust. Er betrachtete eines nach dem anderen. Jaja, da hatte er aber richtige Arbeit geleistet. Er war enorm stolz auf seine junge Familie und trug seinen buschigen Schwanz noch etwas höher als sonst. Das getigerte Kätzchen gefiel ihm besonders gut, denn es trug sein Haarkleid und war genauso frech wie er. Nun hatte er wieder eine Familie, etwas was er sich immer gewünscht hatte, seitdem er Sereina verloren hatte. Er war ausserordentlich glücklich. Nur eine Kleinigkeit gab es noch, die er Nemo bei Gelegenheit mal gestehen musste.
Simba hatte ein dunkles Geheimnis, das Nemo nicht kannte. Sie erfuhr es erst einige Wochen später. Simba hatte sich nach dem Liebesabenteuer mit Nemo auch mit ihrer Schwester angefreundet. Auch sie würde bald Simbas Nachkommen auf die Welt bringen. Sie trug schon einen riesengrossen Bauch durch die Gegend. Die letzten Tage verbrachte sie nur noch daheim im kühlen Haus. Es war Sommer geworden und die Sonne brannte heiss auf die Erde nieder. Das Gehen machte ihr schon recht grosse Mühe, denn ihr Bauch streifte schon beinahe den Boden unter ihren Füssen. Sie würde bestimmt mehr als drei Katzenbabies bekommen, das wussten alle: Ihr Bauch schien so gross, als ob er bald platzen würde. Alle waren gespannt, wann sie Simbas zweite Kinder auf die Welt bringen würde.

Simba ging regelmässig bei den Schwestern ein und aus. Er verfolgte das Geschehen dort sehr aufmerksam. Man sagt den Katern zwar nach, dass sie sich nicht mehr um ihre Kinder kümmern würden, doch Simba machte hier eine Ausnahme. Er liebte seine Kinder über alles und genoss es, ihnen beim Spielen zuzuschauen. Schon einmal war er Vater geworden mit Sereina, seiner grossen Liebe.
Er hatte aber seine Freundin und die Kinder verloren. Den gleichen Fehler wollte er nicht noch einmal machen. Manchmal sass er unter der Hecke im Garten und schaute dem turbulenten Treiben still zu. Nemo spielte mit den drei Kleinen, die jeden Tag grösser und wilder wurden. Sie leckte ihnen mit ihrer rauen Zunge über die Stirn, Augen und Ohren. Wie gern hätte er das auch gemacht, wie schön wäre es doch, wenn er sich ihnen nähern könnte. Wenn sie Hunger hatten, legte sich Nemo der Länge nach hin und säugte sie. Dafür bekam sie das beste Futter, das die Familie finden konnte. Nemo war eine äusserst fürsorgliche Mutter. Simba war stolz auf Nemo und seine Kinder und einfach nur glücklich. Vor wenigen Monaten hätte er es sich noch nicht vorstellen können, dass er eines Tages wieder glücklich sein würde.
Schon bald kam auch für Nike der Tag der Niederkunft. Sie war froh als alles vorbei war und ihr Bauch endlich wieder kleiner und leer war. Die letzten Tage hatte sie zu kämpfen. Gerade jetzt war es so heiss geworden. Ihr riesengrosser Bauch machte ihr zu schaffen und sie spürte, dass die Kleinen wild in ihr rumtrampelten. Sie hatten vermutlich kaum mehr Platz in ihr gehabt. Nun war alles vorbei und sie war müde und glücklich zugleich. Sie war die stolzeste Katzenmutter dieser Erde, als sie auf die fünf kleinen Kätzchen schaute, die sich an ihren Bauch geschmiegt hatten. Sie leckte sie trocken, konnte sich an ihnen kaum sattsehen. Wie schön sie doch waren und wie zierlich klein! Sie schwor sich und ihrem Nachwuchs, dass sie eine gute Mutter sein würde. Sie dachte über die
letzten zwei Monate nach, die sie mit Simba verbracht hatte. In ihren Kindern erkannte sie den Vater Simba wieder. Vor allem der kleine Tigerkater war das Abbild ihres Freundes. Lustigerweise hatte auch sie, gleich wie ihre Schwester Nemo, zwei weisse Kätzchen geboren. Nur das eine Büsi war vollkommen anders. Es war dunkelgrau oder fast schwarz, mit Schildpatt-Flecken in Rosa. Und dann begutachtete sie noch das rotgetigerte Katerchen, das mitten in den Geschwistern lag. Ja, sie waren eine farbenfrohe Familie. Sie zeigte ihren Nachwuchs der Menschenfamilie. Wie stolz sie doch war! Wenn das Simba nur sehen könnte.
Und Simba sah es. Er ging regelmässig zu Nemo, Nike und seinen Kindern. Lange lag er ausgestreckt im Garten vor der Eingangstüre. Seinem Blick entging nichts. Er wartete geduldig, bis er einen Blick auf seine Kinder werfen konnte. Dann sah er sie, wie sie in der Wohnung umher rannten. Er sass vor der Gartentüre und schaute in das helle Wohnzimmer. Wie gerne wäre er doch hinein gegangen, er wollte seine Kinder nicht nur sehen, er wollte sie beschnuppern. Leider war das aber nicht möglich, denn die Menschenfamilie wusste nicht, ob er als wilder Kater überhaupt sanft zu diesen kleinen Kätzchen sein würde. Die Türe blieb verschlossen und Simba musste seine Familie von draussen beobachten. Halb so schlimm, dachte der stolze Vater. Eines Tages würde er sie sehen, spätestens dann, wenn sie alle im Garten spielen durfte.
Er blieb in der Nähe und suchte sich nicht weit entfernt einen Unterschlupf, in den er sich bei schlechtem Wetter zurückziehen konnte. Die meiste Zeit verbrachte er aber ganz nahe bei seiner Familie. Er legte sich oft unter die Hecke und schaute dem bunten Treiben aus sicherer Entfernung zu. Am Abend ging er zu Tina, denn dort wartete das Fressen auf ihn. Wie gern hätte er Tina von seinen Kindern erzählt, noch lieber hätte er ihr seine Familie vorgestellt. Wie sollte er ihr klarmachen, dass er der stolzeste Vater auf dieser Welt war? Sie schaute ihn nur ruhig an und dachte, dass der gute Simba dünn geworden war. Er bekam deshalb jeden Abend leckere Katzenmilch und besonders nahrhaftes Futter. Dafür war er ihr sehr dankbar. Sie kannte sein Geheimnis, wusste von den ruhelosen Nächten der letzten Monate. Er wusste natürlich nicht, dass Tina schon informiert war. 
Sie hatte bereits erfahren, dass Nemo und Nike Nachwuchs bekommen hatten. Natürlich wollte sie die Kätzchen sehen, denn sie wusste genau, dass diese nur von Simba sein konnten. Es gab ausser Simba weit und breit keinen unkastrierten Kater mehr. Sie fand die Kleinen umwerfend und ging in regelmässigen Abständen hin, um die Kätzchen zu besuchen. Nach zehn Tagen öffneten sie die Augen, nach drei Wochen watschelten sie schon 
frech umher. Die Zeit verging wie im Fluge und aus den Neugeborenen entwickelten sich kleine, wunderhübsche Katzenkinder. Bald würden sie Abschied nehmen von ihren Müttern und in ihr neues Zuhause umziehen. Doch noch war es nicht so weit und Simba, Nemo und Nike waren eine kleine glückliche Grossfamilie.
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