Freund oder Feind
Buch 3
Die beiden Katzen hatten die Rettung von Roy miterlebt. Sie berichteten Simba alles ausführlich, als dieser am nächsten Tag bei ihnen auftauchte. Nun war das Fenster wieder geschlossen und das Klagen aus dem Inneren des Kellers hatte aufgehört. Gerne wäre er bei der Rettungsaktion dabei gewesen, doch zu dieser Zeit lag er wieder in seinem Schuppen und schlief. Er wusste deshalb nicht, dass er die Frau nur um weniges verpasst hatte, die ihm vor vielen Monaten am Rheinufer Futter hingestreckt hatte.
Simba blieb noch ein paar Wochen bei den zwei neugewonnen Freunden. Sie teilten sich das Futter, das sie jedenTag vorgesetzt bekamen. Sie verbrachten viele Nächte zusammen, gingen als Vierpfoten-Trio auf die nächtliche Jagd. Wenn Simba sich den Bauch vollgeschlagen hatte, ging er zurück in seinen Schuppen. Dort legte er sich der Länge nach hin und döste in den Morgen hinein. Es war ein schönes Katzenleben. Der Bauch war gefüllt und niemand machte ihm Vorschriften. Er konnte tun und lassen was er wollte. Da sein Schuppen mitten im eingezäunten Waldstück stand, gab es auch selten Besuch. Ab und zu kam der Besitzer, um nach dem rechten zu sehen. Dann verschwand Simba kurzerhand und versteckte sich unter einem Busch. Wenn er sah, dass die Luft wieder rein war, kroch er durch die lose Latte hinein in seinen Schuppen und schlief weiter.
Langsam wurde es wärmer und der Frühling erwachte mit voller Stärke. Die Knospen trieben hervor und die ersten Blumen drückten ihre Köpfe aus der Erde. Es roch nach Frühling und Maiglöckchen. Die Tage wurden länger und im ruhigen Waldstück kehrte Leben ein. Die Gehwege zu den römischen Grabungsstätten wurden gereinigt und für die Touristen vorbereitet. Jeden Tag kamen zahlreiche Interessierte, die kreuz und quer durch den erst noch totstillen Wald spazierten. Sie diskutierten über die römischen Funde und konnten sich nicht sattsehen. Manchmal roch Simba frisches Brot, das in der nahegelegenen römischen Bäckerei gebacken wurde. Dann erinnerte er sich daran, dass er auch mal dort genächtigt hatte. Sein Schuppen war sein Zufluchtsort und er wäre gerne sein ganzes Leben dort geblieben, wenn nicht eines Tages eine Gruppe Jugendlicher bei ihm aufgetaucht wäre. Sie schlossen die verschiedenen Schuppen auf, räumten Bänke und Stühle raus und fegten den Boden. Dann dekorierten sie die Tische und stellten draussen einen Gartengrill auf. Je später der Abend wurde, desto mehr Leute kamen in sein Revier. Sie feierten ein Geburtstagsfest und sangen "Happy Birthday". Es wurde eine lange Nacht und Simba sass in einiger Entfernung und schaute dem tollen Treiben zu. Dann ging er zu seinen Katzenfreunden und verbrachte die Nacht mit ihnen.
Als er gegen Morgen in sein Revier zurückkam, war das Fest noch voll im Gang. Noch immer sangen die jungen Leute und waren heiter und fröhlich. Erst als die Sonne allmählich hinter den Bäumen hervorschaute, räumten sie alles zusammen und verliessen das Areal. Sie waren eingedrungen in seine Welt, hatten die Ruhe und den Frieden in seinem Schuppen zerstört. Simba war wütend und hoffte sehr, dass sie nicht wiederkommen würden. Da täuschte er sich aber gewaltig, denn es vergingen nur wenige Tage, als die nächste Gruppe das Wochenende in seinem Wald verbrachte. Simba konnte ja nicht ahnen, dass diese Schuppen Festhütten waren, die man für eine Feier mieten konnte. Für ihn war es sein Unterschlupf und sein Daheim. So konnte es nicht weitergehen, denn Simba fand keine Ruhe mehr. Auch wenn er tagsüber schlief, war er mit einem Ohr immer wach und auf der Lauer, ob er nicht Fusstritte hörte. Da diese Leute ihre Feste vorbereiteten und im Nachhinein den Platz auch wieder aufräumen mussten, blieben für Simba nur wenig ruhige Momente, in denen er alleine dort hausen konnte. Er fand keine Ruhe mehr und entschloss sich schweren Herzens weiterzuziehen.
Eines Abends ging er zu seinen Katzenfreunden und berichtete ihnen, dass er weggehen würde. Sein Daheim war ihm zu unruhig geworden und er wollte auch nicht ständig den Freunden zur Last fallen. Zudem hatte er sein Ziel noch nicht erreicht. Er wollte seinen Weg ins Glück fortsetzen. Sie legten ihm die Pfoten an die Brust und küssten ihn auf die Nase. Dann miauten sie ihm freundlich nach, als Simba im Dunkeln der Nacht verschwand.
Wieder stand er mitten im Menschengebiet. Er durchstreifte wunderschön angelegte Gärten, in denen es nach Blumen roch. Manchmal begegnete er einem Hauskater, der ihn aus der Entfernung genauestens beobachtete. Nie hätte er es gewagt, absichtlich ins Revier eines Rivalen einzudringen. Es schien hier enorm viele Katzen zu geben. Fast in jedem Garten sass eine Kätzin oder auf dem Dach ein Hauskater. Alle hatten ein Zuhause, nur Simba nicht. Irgendwie machte es ihn auch ein wenig traurig. Er konnte überhaupt nicht verstehen, wieso andere ein trautes Heim hatten und er seinem Glück nachrennen musste. Schon lange hatte er keine Menschenhand mehr auf seinem Pelz gespürt. Wenn er traurig war, sehnte er sich nach Streicheleinheiten und lieben Worten. Er dachte ab und zu an Frau Wanner und die Kinder. Die hatten auch kein schönes Leben mehr, seit Herr Messmer dem Alkohol verfallen war. Sie waren zu ihm und seiner Sereina immer lieb gewesen. Er konnte nicht verstehen, wieso man sie zurückgelassen hatte. In Gedanken war er bei seiner geliebten Sereina und seinen Babies, die mittlerweile bestimmt ausgewachsene Schönheiten waren.
Man sah den schönen Langhaarkater viele Nächte, wie er durch die Gärten und Felder streifte. Er packte jede Maus, die ihm über den Weg lief. Tagsüber legte er sich unter einen Busch oder manchmal sogar auf einen leerstehenden Liegestuhl. Sein Weg führte ihn der Bahnlinie entlang Richtung Osten. Er durchquerte ein grösseres Industriegebiet. Obwohl es hier es viele Häuser in allen Farben und Etagen gab, kam die Natur nicht zu kurz. Im ganzen Dorf gab es zahlreiche Grünzonen, in denen sogar noch wilde Hasen hausten. Er beobachtete sie oft, wie sie auf dem Feld hockten und nach Nahrung suchten. Er überlegte sich auch, ob er wohl einen von ihnen jagen sollte. Doch diesen Gedanken verwarf er schnell wieder, denn die Langohren waren keine Zwerghäschen sondern ausgewachsene Feldhasen mit einer stattlichen Grösse. Er wusste, dass sie enorm flink waren und bei Gefahr mit ihren Hinterläufen um sich schlagen würden. Nein, das war ihm zu gefährlich. Da blieb er lieber bei seinen Graupelzchen. Er hatte schon lange den Trick raus, wie man sie überlisten konnte.
In der Nähe gab es drei grosse Reitställe, die rege besucht wurden. So sah er ab und zu Reiter, die elegant hoch oben auf ihren Pferden sassen. Die Gruppe wurde immer von zwei mittelgrossen Hunden begleitet. Wenn die Reiter an ihm vorbeizogen, sah er nur lange Beine und hörte das Schnauben der Pferde. Er roch den Schweiss der riesengrossen Tiere und hörte das Klappern der Hufe. Die Pferde trugen reflektierende Bandagen, damit man sie auch in der Nacht sehen konnte. Die Hunde liefen aufgeregt voraus und kläfften. Sie hatten ihn nicht entdeckt und auch nicht aufgespürt. Simba konnte aufatmen.