Miau Miau (ES)
Buch 7
Viktor und Grete bewohnen eine alte, romantische Villa. Sie wird von zwei mächtigen Linden bewacht, deren Kronen das Dach überragen. An das Gebäude schliesst sich ein verwilderter, parkähnlicher Garten an, in dem Fichten, Lärchen, Birken und einige Exoten stehen. Unter den Bäumen wird nicht gemäht, daher können sich dort Kräuter und Wildblumen ungehindert ausbreiten. Vor dem Haus blüht es in bunter Fülle vom Frühling bis in den Herbst hinein. Da Grete gelernte Floristin ist, kann sie nie genug Blumen um sich haben. Deshalb bepflanzt sie Tontöpfe, Tröge, Eimer und Schubkarren und verteilt sie im Garten. Diese Blütenfülle erfreut nicht nur die Herzen der Eigentümer, sondern auch die der Besucher. In der warmen Jahreszeit schuften Viktor und Grete von morgens bis abends, um dieses kleine Paradies zu pflegen und zu erhalten. Dabei wissen sie, dass nicht sie die eigentlichen Besitzer sind, sondern die Katzen, die eigenen und die der Nachbarn.
Gretes Haustiger allerdings dehnen ihre Machtansprüche auch auf die Räume der Villa aus. Das ist nicht nur unangenehm - es bedeutet auch eine Menge Arbeit, die Spuren zu beseitigen. Dazu kommt noch, dass Gretes Lieblinge an Stellen markieren, die für Putzlappen schwer erreichbar sind, zum Beispiel die Lamellen der alten Heizkörper, Sesselleisten, Fenster, Vorhänge und das Schnitzwerk an Schranktüren. Als langjährige Katzenbesitzerin weiss sie zum Glück, wo sie suchen muss, packt den Putzeimer und rückt den unangenehmen Gerüchen umgehend mit Lappen, Seifenlösung und chemischen Mitteln zu Leibe.
Manchmal passiert es aber, dass der Ursprung dieser Katerdüfte längere Zeit nicht gefunden werden kann. Dann kommt Gretes Nase zum Einsatz. Sie muss so lange schnuppern, bis das Uebel aufgedeckt ist. Das kostet Zeit und macht Aerger.
Gretes Lieblingskater Rambo, manchmal auch rote Ratte genannt, ist besonders erfinderisch, wenn es darum geht, seine Duftmarken vor Gretes Sauberkeitsdrang zu verstecken. Er verfüllt dabei auf die absurdesten ldeen. Darüber kann Grete ein Lied singen. Wenn sie einen Einkaufsbummel in die Stadt plant, lässt sie das Auto zu Hause und nimmt lieber die Bahn. Das ist wie ein kleiner Urlaub. Man kann sich während der Fahrt entspannen, ein Buch lesen, Pläne schmieden oder einfach nur das Nichtstun geniessen.
An einem eisig kalten Wintermorgen zog Grete ihren wärmsten Mantel an, schlüpfte in ihre Pelzstiefel und ging zum Bahnhof. In einem Abteil des Schnellzugs war ein Platz neben der Heizung frei. Sie setzte sich, zog ihr Buch aus der Tasche und begann zu lesen. An diesem Tag herrschte ein ziemliches Gedränge. Menschen mit viel Gepäck waren unterwegs. Im Waggon wurde es ungemütlich eng. Das beeinträchtigte aber Gretes gute Laune nicht. Sie genoss die Fahrt ohne Wenn und Aber, denn die Vorfreude auf ihren Stadtbesuch machte ihr das Herz warm und das Gemüt heiter. Damit hob sie sich deutlich von den Mitreisenden ab, denn diese starrten übellaunig vor sich hin oder blätterten sichtlich gelangweilt in ihren Morgenzeitungen. Doch das änderte sich schlagartig. Von einem Moment zum anderen erwachten die Fahrgäste aus ihrer Lethargie und hoben alarmiert die Köpfe. Ihre Nasen kräuselten sich, und ihre Äugen schweiften suchend umher. Im Abteil hatte sich nämlich ein höchst unangenehmer Geruch ausgebreitet. Auch Grete hatte ihn wahrgenommen. Sie sah auf und bemerkte, dass die Mitreisenden teils verstohlene, teils angewiderte Blicke auf sie warfen. Bei dem Gedanken, sie könnte von ihnen für die Quelle dieser üblen Düfte gehalten werden, schoss ihr das Blut ins Gesicht. Zuerst ärgerte sie sich. Doch dann fragte sie sich, ob der Verdacht wirklich so abwegig sei. Sie neigte den Kopf und prüfte die Luft unauffällig mit der Nase. Tatsächlich! Der aufdringliche Gestand kam von ihren Stiefeln. Ein Kater musste sie insgeheim markiert haben. Aktiviert durch die Wärme der Heizung stieg er jetzt unaufhaltsam auf und verteilte sich im Abteil.
Rambo, du rote Ratte, dachte Grete grimmig und verbarg das Gesicht hinter ihrem Buch. Da an ihrer peinlichen Lage nichts zu ändern war, konnte sie nichts anderes tun, als den Rest der Fahrt mit Würde durchzustehen. Ihr fiel ein Stein vom Herzen, als der Zug am Südbahnhof hielt und sie aussteigen konnte.
Gleichzeitig wusste sie aber auch, dass die Sache noch nicht abgetan war. Da der Kauf einer neuen warmen Fussbekleidung nicht geplant gewesen war und daher ihre Finanzen überstieg, blieb ihr nichts anderes übrig, als ihre Besorgungen in den noblen Grossstadtgeschäften in Stinkstiefeln zu erledigen. Dass sie darüber nicht erfreut war, wird sich jeder leicht vorstellen können.