Smokie, die Saphra hiess
Buch 1
Smokie, die Saphra hiess
Sie erblickte das Licht der Welt auf wunderbare Weise. Ihre Mutter war selber noch sehr jung, als sie ihre ersten Jungen erwartete. Sie hatte eine äusserst schwierige Geburt und konnte ihre Kätzchen ohne Hilfe des Tierarztes nicht gebären. Smokie kam durch einen Kaiserschnitt zur Welt, als einzig überlebendes Junges einer schrecklichen Geburt. Ihre Mutter wäre fast gestorben, wäre nicht in letzter Minute die fremde Hilfe gekommen. Smokies Mutter war glücklich, als endlich alles vorbei war und schaute ihr einziges kleines Junges liebevoll an. Es war ein kleines weibliches Kätzchen mit einer originellen Farbe. Sein Fell war rauchfarbig gesprenkelt, zart und fein wie dasjenige aller kleinen Katzenkinder. Man nannte diese Zeichnung „schildpatt“. Den Schildpatt-Katzen sagt man nach, sie seien Glückskatzen. Sie war sehr stolz auf die Kleine und wollte ihr eine gute Mutter sein. Sie drückte das kleine Kätzchen an ihr getigertes Fell und zeigte ihm mit der Pfote, wo es die gute Milch gab. Smokie liebte seine Mutter über alles und auch die Tatsache, dass sie nicht um den Futterplatz kämpfen musste, da es genügend Milch für ein einziges Katzenkind gab.
Es gab bei ihnen zu Hause noch eine zweite Katze, die ebenfalls Junge bekommen hatte. Ihre eigene Mutter war getigert, die Tante eine stolze, pechschwarze Katze mit einem weissen Fleck auf der Brust. Sie brachte drei Junge zur Welt, zwei davon in der gleichen vornehmen Farbe wie Smokie. Es war eine schöne Jugendzeit für die Katzenkinder im Kreise der Grossfamilie. Die beiden Katzenmütter umsorgten ihre Kinder liebevoll und lehrten sie alles, was sie fürs weitere Leben brauchten. Smokie hatte nun zwei Mütter. War die eine nicht da, ging sie eben zur anderen. Milch gab es ja bei beiden, das spielte es keine Rolle, ob es die eigene oder Leihmutter war. Sie teilte ihre Mutter ja auch mit den anderen Katzenkindern.
Sie lebten in einem grossen Haus mit Garten und durften schon bald nach draussen gehen, wo ihnen die Mutter zeigte, wie sie Mäuse fangen konnten. Zuerst brachte ihnen die Mutter tote Mäuse nach Hause und zeigte ihnen, welchen Teil man essen und welchen man meiden sollte. Dann kam der Tag, wo sie selber eine Maus erlegen mussten. Die Mutter schaute nur noch zu und erklärte, mit welcher Taktik man Erfolg hatte.
Aus den kleinen Katzenbabies wurden 10 Wochen alte Kätzchen. Bald würde man von der Mutter Abschied nehmen müssen. Smokies Mutter wusste dies und stiess die Kleine weg. Sie hatte sie alles gelehrt, was sie für das weitere Leben brauchte, sie musste nun ihren eigenen Weg gehen. Sie war glücklich, dass sie ein so hübsches Kätzchen hatte und war gleichzeitig unglücklich, dass der endgültige Abschied bevorstand. Es war der Instinkt, der ihr zeigte, dass die Zeit gekommen war, der Kleinen ade zu sagen.
Smokie fühlte sich einsam und unglücklich, konnte nicht verstehen, wieso ihre Mutter sie nicht mehr wollte. Auch ihre Stiefgeschwister erlebten das gleiche Schicksal. Sie wurden ebenfalls weggestossen. Wollten sie Milch trinken, stiess die Mutter sie mit einem Fauchen weg. Die Mütter kümmerten sich nur noch wenig um die Jungtiere, ihre Aufgaben als Mutter waren erfüllt.
Als Smokies Menschen in die Ferien fuhren, gaben sie die kleine Katze, zusammen mit dem graugetigerten Bruder einem Mann. Dieser wohnte in einer anderen Stadt, in einem Haus, wo es keinen Garten gab. Sie mussten den ganzen Tag drinnen bleiben, was ihnen überhaupt nicht passte. Sie rächten sich für die Gefangenschaft, in dem sie regelmässig ihr Geschäft auf den Teppich machten. Der junge Mann war ein geplagter Gastgeber. Mit Lappen und Putzmittel bewaffnet, rannte er den beiden flinken Kätzchen hinterher. Bald verwandelte sich seine Wohnung in ein Riesen-Katzenklo. Der Teppich zeigte allerlei Flecken, die eindeutig und unübersehbar waren. Auch die Polstergruppe wurde nicht verschont. Der Gastgeber war schon fast am Verzweifeln, als ein rettender Anruf seinem Martyrium ein Ende setzte. Es rief eine Frau an, die sich für eines der kleinen Katzenkinder interessierte. Hoffnung stieg in ihm auf, dass die letzten sauberen Teppichzipfel vielleicht doch noch gerettet werden konnten.
Am gleichen Tag stand Tina vor der Türe. Sie schaute sich die beiden Kätzchen an, die noch so klein und verspielt waren. Der Gastgeber erklärte, nur das Weibchen sei noch zu haben. Für den kleinen Kater gab es bereits eine Familie, in die er noch am selben Abend ziehen würde. Er warnte Tina fairerweise und erklärte ihr, dass es sich hier um zwei spezielle Tiere handelte, die anscheinend keine gute Kinderstube genossen hatten. Sie liessen ihrem Geschäft freien Lauf, egal welchen Teppich oder welches Möbelstück es gerade traf. Tina durfte sich an dieser Stelle gleich vor Ort davon überzeugen, mit welcher Frechheit Smokie auf den Teppich pinkelte. Erstaunlicherweise liess sich Tina aber davon gar nicht beeindrucken. Sie versicherte, sie werde das Problem garantiert in den Griff bekommen, sie sei eine erfahrene Katzenhalterin.
Der Gastgeber war äusserst erleichtert, als Tina ihm zu verstehen gab, dass sie Smokie bei sich aufnehmen würde. Noch am gleichen Abend musste die kleine Katze Abschied von ihrem Stiefbruder nehmen, der bei einer anderen Familie einzog. Einmal mehr war sie traurig. Sie wusste ja nicht, was auf sie zukommen würde. Da standen nun alle in der Wohnung des Gastgebers, den Tränen nahe. Auf der einen Seite waren alle froh, dass die Katzen ein Zuhause gefunden hatten, auf der anderen Seite fiel der Abschied sehr schwer.
Smokie wurde in einen Tragkorb gesetzt und an den Robenweg gefahren. Dort setzte Tina sie sofort ins Katzenkistchen und erklärte ihr, dass sie ihr Geschäft hier zu verrichten habe. Natürlich wusste Smokie dies ganz genau, denn bei ihrer Mama zu Hause war das genauso. Sie gehorchte Tina, denn sie wollte sie nicht gleich zu Beginn ärgern. Erst musste sie mal sehen, was es hier alles gab und ob ihr das passte. Sie durchstreifte ihr neues Zuhause und erkundete es ganz genau.
Es gab mehrere Zimmer. In jedem Raum stand ein Katzenbaum, der entweder auf einen Schrank oder einen Hochsitz führte. Im Türrahmen zum Garten stand ebenfalls ein Katzenbaum mit einer Hängematte. Hier durfte man sich reinlegen und den ganzen Tag schlafen oder den Vögeln zuschauen, die draussen sangen. Es schien ganz okay zu sein, dachte Smokie. Auch das Futter, das ihr Tina vorsetzte, war einiges leckerer als dasjenige des vorigen Gastgebers. Smokie entschied sich, eine brave Katze zu sein. Sie frequentierte ihr Katzenklo regelmässig und verschonte Tina vor feuchten Ueberraschungen.
Als es eindunkelte, kamen ihre neuen Geschwister nach Hause. Sie schauten sich den Neuankömmling etwas skeptisch an. Sie wussten von Tina, dass eine Neue kommen würde und waren überhaupt nicht begeistert. Da stand sie nun, grau, dumm und verspielt. Sie schien von Tuten und Blasen keine Ahnung zu haben, wie konnte sie auch in ihrem Alter. Mit der konnte man sicher nicht auf die Jagd gehen, die sah ja aus, als habe sie noch nie eine Maus gesehen. Man nannte sie sicher Glückskatze, da sie lediglich mit Glück mal eine Maus fangen konnte. Wie konnte Tina nur eine solche Niete nach Hause bringen. Tasja stand mit hocherhobenem Kopf da und setzte eine überlegene Miene auf. Smokie war unvoreingenommen und ging auf ihre neuen Geschwister zu. Sie wollte sie begrüssen. Statt Freude erntete sie aber nur ein böses Fauchen.
So hielt sie sich eben an ihr neues Katzenmami. Tina erkannte die Situation sofort und tröste die kleine Katze. Sie spielte bis spät in der Nacht mit dem kleinen Kätzchen, warf ihr Spielmäuse und Tischtennisbällchen zu. Smokie war flink und geschickt und liebte die Spiele, die Tina ihr bot. Doch der erste Tag war für die kleine Katze sehr anstrengend. Ihr fielen fast die Augen zu. Sie legte sich in der Nacht in Tinas Arme und und schnurrte friedlich vor sich hin. Sie hatte ein Plätzchen gefunden, das vielversprechend war und ihr gefiel.
Am nächsten Tag war sie schon früh wach. Sie weckte Tina um fünf Uhr morgens, in dem sie auf ihren Bauch kletterte und zu Treteln anfing. Sie zog dabei ihre Krallen ein und aus. Welch pelziger Wecker, dachte Tina, als sie die kleinen Krallen zu spüren bekam. Sie konnte dem kleinen Kätzchen aber nicht böse sein, das ja nicht wusste, dass Tina noch eine Stunde schlafen wollte. Sie nahm es in die Arme und streichelte es zärtlich. So schliefen sie noch eine Weile, bis die Sonne aufging und ein neuer Tag begann.
Am nächsten Tag machte Smokie Bekanntschaft mit Zottel, einem riesengrossen schwarzen Kater. Er wohnte auch hier und schien sein Revier und seine Kätzinnen gut im Griff zu haben. Als er den Neuankömmling sah, nahm er einen grossen Satz. Dazu fauchte er wie wild. Er hob seine Pranke, um der Kleinen eine runterzuhauen. Tina blieb fast das Herz stehen. Der Angriff kam so schnell, dass sie die Kleine nicht mehr aus der Angriffslinie bringen konnte. Sie musste tatenlos zusehen, wie Zottel auf Smokie losging. Als er in seiner Angriffswut auf das Kätzchen losrannte, war er wie von Sinnen. Wie konnte man ihm eine fremde Katze vor die Nase setzen ohne ihn zu fragen? Erst als er eine halbe Körperlänge vor dem Winzling war, bemerkte er, dass Smokie ein Baby war. Er stoppte so abrupt, dass er fast umgefallen wäre. Smokie sah ihn nur mit erstaunten Augen an, denn sie wusste ja nicht, dass Zottel ein aggressiver und von allen gefürchteter Kater war. Sie stellte den Schwanz, der kaum länger als ein Stummel war, und ging direkt auf ihn zu. Sie schnupperte an seinen Füssen und seinem langen dichten Schwanz. Er erinnerte sie an ihre Stiefmutter, die genauso schwarz war. Sie standen da wie David und Goliath und schauten sich verwundert an. Und der sonst so unberechenbare Zottel blieb unbeweglich stehen und liess alles geschehen. Smokie wurde durch ihre Jugend geschützt. Die Natur hatte es so vorgesehen.
Smokie unterlag noch längere Zeit der Schonfrist. Sie durfte alles mit Zottel machen, der, zum Erstaunen aller, sich einiges gefallen liess. Zu bunt wurde es ihm aber, als Smokie eines Tages die Milchdrüsen bei ihm suchte und dort anzapfte. Das war ja unerhört, dachte Zottel, und stiess die Kleine mit Getöse weg. Er war in seinem Stolz verletzt. Wie konnte man ihn, einen Musterkater von sieben Kilos, wie er im Buche steht, mit einer Katzenmutter verwechseln. Er war in seiner Männlichkeit gekränkt.
So vergingen Tage und Wochen, an denen Tina und Smokie schöne Stunden verbrachten. Ihre Geschwister gewöhnten sich allmählich an die Kleine und zeigten ihr das neue Revier. Sie hatte den Trick mit der Katzentüre schnell raus und konnte nun einund ausgehen, wie es ihr passte. Tasja hatte ihre Abneigung abgelegt und gab der kleinen Smokie eine Chance. Im Vergleich zu Tasja war Smokie von ruhiger Natur. Bei Tasja musste immer etwas los sein. Sie war ein unzähmbares Energiebündel. Sie tobte mit Smokie über die Wiese, kletterte die Bäume hoch und erschreckte die Vögel, die ihre Eier ausbrüteten. Sie war nicht zu bremsen. Smokie hingegen war eher von vorsichtiger Natur. Sie beobachtete Tasja unentwegt und wollte von ihr lernen. Dabei lernte sie natürlich auch viel Unfug zum Leid von Tina.
Nach einiger Zeit brachte Tina ihr Schildpatt-Weibchen zum Tierarzt. Sie musste geimpft und entwurmt werden. Zu ihrer grossen Ueberraschung erfuhr sie, dass ihre Smokie eigentlich Saphra hiess. „Schade“, dachte sie „Saphra wäre ein schöner Name gewesen. Hätte ich von diesem Namen gewusst, hätte ich das Graupelzchen so genannt. So habe ich sie nun Smokie (die Rauchige) getauft, weil sie so rauchig aussieht, als sei sie durch den Kamin gekommen.“
Bei Tina normalisierte sich das Leben allmählich. Da gab es allerdings noch Miezi, ein winziger, weisser Kater. Er wohnte auch bei Tina, war aber eher selten zu Hause. Er genoss seine Freiheit und das grosse Jagdrevier. Abends oder an feuchten und kalten Tagen kam er nach Hause und legte sich im Büro auf den Schrank. Als er eines Tages ohne Vorwarnung vor Smokie stand, rastete etwas bei ihm aus. Er fauchte das graue Kätzchen an und verschwand in Windeseile. Er tobte innerlich, war total aufgebracht. Wo wohnte er eigentlich? Da kamen und gingen die Katzen ja wie die Bienen im Bienenhaus. Seine Empörung war unübersehbar.
Erst als er das weitentlegene Maisfeld erreicht hatte, hielt er inne. Hatte er das nur geträumt oder war da tatsächlich eine graue Katze eingezogen? Er musste sich kommende Nacht nochmals davon überzeugen.
Am folgenden Abend stellte sich heraus, dass Miezi recht gesehen hatte. Da wohnte doch tatsächlich eine kleine graue Katze. Sie war zwar noch winzig, dennoch mochte er sie nicht. Er entschloss sich, Tina zu verlassen und ins Maisfeld zu ziehen. Dort lag er nun und dachte darüber nach, wie er damals den Weg zu Tasja gefunden hatte, die ihn nun so masslos enttäuscht hat.